Neulich erst sah ich im Fernsehen eine Sendung über Pumpspeicher(kraft)werke, die z.Zt. nicht zuletzt wegen der Nuklearkatastrophe in Fukushima Konjunktur haben und für die Zukunft unter dem Gesichtspunkt alternativer Energien als ausbaufähig erachtet werden. Kommt die Energiewende, so hieß es, dann sind Pumpspeicherkraftwerke gefragt.
Sie haben den Vorteil, dass sie auch sehr kurzfristig eine Menge zusätzlichen Stroms umweltfreundlich erzeugen können. Auch in der Presse werden Pumpspeicherwerke jetzt öfters erwähnt. Das erinnerte mich daran, dass der Lenneper Baumeister Albert Schmidt, der auch im Bereich des Ingenieurwesens für das gesamte Bergische Land viel geleistet hat, sich schon im Jahre 1917 mit der Idee eines Pumpspeicherwerkes beschäftigte, ohne dass es diesen Namen damals gab. Über die Dahlerauer Familie Goldenberg, mit der Albert Schmidt über zwei Generationen beruflich und persönlich verbunden war, könnten seine Ideen sogar an Arthur Koepchen gelangt sein, der 1927-1930 das später nach ihm benannte Pumpspeicherwerk am Hengsteysee realisierte.
Allerdings stellte sich für Albert Schmidt das Problem alternativer Energien nicht im heutigen Sinne. Er kannte ja keine Atomkraft und keinen Super-GAU. Und ein „alternativer Grüner“ z.B. war Albert Schmidt sicherlich auch nicht, obwohl er die neuesten Technikideen immer auch mit der Frage nach Mensch und Natur verband und die Verbesserung der damals industriell verdreckten Wupper, des „Schwarzen Flusses“ thematisierte.
Am Anfang des vierten Bandes seiner geschäftlichen Erinnerungen, die im Remscheider Stadtarchiv und in der Remscheider Stadtbibliothek als Typoskripte vollständig vorhanden sind, bezieht sich Albert Schmidt auf die wirtschaftlichen Folgen des Weltkriegsverlaufs 1914-1918, und er entwickelt die Idee, dass durch die am Ende des Krieges einsetzende allgemeine Verteuerung neben den Lohnerhöhungen auch und vor allem eine Erhöhung der Kohlekosten stattfand, so dass die Besitzer von Wasserkraftanlagen an der Wupper sich die Aufgabe stellten, ihre Wasserkräfte weiter auszubauen, um damit Kohlen zu einzusparen. Die Gesamtentwicklung betrachte Albert Schmidt naturgemäß aus der Blickrichtung der Wupperunternehmer, für die er arbeitete und plante. Die Einführung des Achtstundentages z.B. sah er dabei nicht unter dem Aspekt einer sozialen Errungenschaft, sondern wirtschaftlich und mit den Folgen für die Energieerzeugung an der Wupper. Er schrieb seinerzeit:
„Der Krieg wurde dann vollständig verloren … Die im Vergleich zu den früheren Verhältnissen verminderte Arbeitszeit war für die gesamte Industrie von größter Bedeutung, da alle Anlagen und Einrichtungen durch die Verminderung die Produktion weniger rentabel wurden. Wegen der unsicheren Verhältnisse seinerzeit hatte man die projektierten Veränderungen der Wasserkraftanlagen in Dahlhausen noch nicht ausgeführt … Ich verfasste im April 1919 eine Schrift, welche ich den drei Wupperwerken zusandte, sie hatte den Titel: „Über die Anpassung der Wasserkraftanlagen von Dahlhausen, Vogelsmühle und Dahlerau an die neuen Verhältnisse.“
Bezüglich Dahlerau stellt Albert Schmidt in dieser Schrift dann fest: Mit diesen technischen Planungen war die Anlage einer „hydraulischen Akkumulierung“ verbunden, durch welche die sonst nicht benutzbaren Wassermengen der Betriebspausen gespeichert und verwertet werden konnten.
Die hydraulische Akkumulierung wird mit heutigen Worten ausgedrückt durch ein Pumpspeicherwerk erzielt, und die Akkumulierung sollte zunächst dadurch entstehen, dass eine gewisse Wassermenge in einen hoch gelegenen großen Wasserspeicher gehoben wird, der nach Albert Schmidt in diesem Fall östlich von Oberdahl über Dahlerau anzulegen war. Die allgemeine Idee, auf die technischen Einzelheiten gehen wir hier nicht ein, war die:
Bei genügender Wasserkraft in den Hoch- und Mittelwasserzeiten sowie geringer Energieabnahme etwa während der betrieblichen Ruhezeiten würde mit der überschüssigen Energie Wasser in den genannten Speicher bergauf gepumpt. Während der Betriebszeiten sollte dann umgekehrt das Wasser wieder vom Berg herab in eine Turbine fließen und dadurch zusätzlichen Strom zur Unterstützung der normalen Turbinen erzeugen.
Albert Schmidt hoffte, als er im Verlauf der 1920er Jahre seine geschäftlichen Erinnerungen verfasste, noch auf eine Verwirklichung seiner bereits im Jahre 1917 entwickelten Idee, zu der auch zwei einschlägige Skizzen erhalten sind, aber in der turbulenten Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war eine Umsetzung wie in der eigentlichen Kriegszeit zuvor nicht möglich.
Im Jahre 1927-30 wurde nun eines der ersten beiden deutschen Pumpspeicherkraftwerke in Herdecke erbaut, vom Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk Essen (RWE) und zur Stromversorgung des nahen Ruhrgebietes. Die heute gänzlich umgestaltete Anlage befindet sich nach wie vor am Steilhang des Ardeygebirges direkt am Hengsteysee an der Ruhr. Planer des Herdecker Kraftwerks war Arthur Koepchen.
Der in Velbert geborene Arthur Koepchen (1878-1954) studierte in Karlsruhe an der Technischen Hochschule, später im Jahre 1908 wurde er beim RWE Betriebsdirektor, 1914 stellvertretendes Vorstandsmitglied und 1917 sogar Technischer Vorstand. Mit dem später nach ihm benannten Pumpspeicherwerk konnte das damalige Hauptproblem der Elektrizitätswirtschaft, die Bereitstellung elektrischer Energie zu Spitzenlastzeiten, gelöst und die Wirtschaftlichkeit und Auslastung der RWE-Kohlekraftwerke verbessert werden.
Arthur Koepchen, dessen eigentliche Lebensaufgabe die Verwirklichung eines überregionalen Stromverbundnetzes war, weshalb er „Vater des Verbundwirtschaft“ genannt wurde, hatte das später nach ihm benannte Pumpspeicherwerk zwar geplant und erbaut, aber er hat niemals behauptet, die Idee dieser technischen Pionierleistung auch selbst entwickelt zu haben. Wohl fälschlicherweise wurde ihm eine Zeit lang die Urheberschaft der Idee zugeschrieben, mit nachts unbeschäftigten Dampf- und Laufwasserwerken Wasser in höher gelegene Speicherbecken zu pumpen, aus denen dann sog. Spitzen(last)strom gewonnen werden kann. Als er 1917 die technische Leitung des RWE nach dem Tod seines „Lehrers“ und Vorsitzenden Bernhard Goldenberg (1873-1917) übernahm, löste er damit eine Persönlichkeit ab, die von Dahlerau an der Wupper kam, und dessen Familie schon in der zweiten Generation mit der Firma Johann Wülfing & Sohn verbunden war. Sein Vater Friedrich Goldenberg leitete über viele Jahre die Färberei der Tuchfabrik Johann Wülfing & Sohn, er selbst absolvierte in den mechanischen Werkstätten der Firma in seiner Ausbildungszeit ein Praktikum. Bernhard Goldenberg kannte also Albert Schmidt seit seiner Kindheit. Albert Schmidt war bereits mit seinem Vater Vater Friedrich (oder Fritz) Goldenberg für die genannte Firma und für die Familien Hardt tätig. Im Zusammenhang der damals bahnbrechenden Elektrifizierung der Wupperfabriken und der Stadt Lennep reiste Albert Schmidt bereits im Jahre 1883 mit Arnold Hardt, Rudolf Hardt und Fritz Goldenberg zu einer elektrischen Ausstellung nach München und ein Jahr später nach Paris, wo wiederum Vater Goldenberg mit von der Partie war, u.a. trafen sie dort auf Th. A. Edison. Auf die Inbetriebnahme des Elektrizitätswerks Schlenke im Jahre 1899 und das größere Kraftwerk am Lenneper Bahnhof, das 1911 an das RWE verkauft wurde, kann hier nicht näher eingegangen werden. Die bahnbrechende Rolle der Wupperfirmen, der Familien Hardt und Ihres Universaltechnikers Albert Schmidt für die industrielle Stromnutzung war aber damals allen Beteiligten nur zu bewusst. So formulierte beispielsweise Albert Schmidt: „Ich darf also behaupten, dass ich die erste Anregung zur Glühlichtbeleuchtung der Fabriken gegeben habe“. Aber Niemand konnte natürlich ahnen, dass der Sohn von Fritz Goldenberg einmal als „technischer Manager“ in den RWE Vorstand berufen wurde. Als Bernhard Goldenberg 1917 mit 44 Jahren überraschend an einer Lungenentzündung starb, betraf dies nicht nur das gesamte RWE, sondern in Lennep auch Albert Schmidt, hatte dieser für Goldenberg doch gerade ein ziemlich bedeutendes Projekt für ein neues Wasserkraftwerk ausgearbeitet. Diese Dinge im Einzelnen darzustellen, ist hier nicht der Platz. Man kann aber feststellen, dass neben den von Albert Schmidt selbst aufgezählten realisierten Hoch- und Wasserbauten noch eine Menge Planungen überliefert sind, die nach Albert Schmidts oft wiederholter Aussage aufgrund des ersten Weltkriegs und der Revolutionszeit Anfang der 1920er Jahre nicht umgesetzt werden konnten.
Peter Dominick vom Tuch- und Wülfingmuseum in Lennep bzw. Dahlerau machte zu diesem Thema im Jahre 2003 eine äußerst interessante Ausstellung und dazu ein Begleitheft, in dem mehrere dieser nie begonnenen oder nie vollendeten Projekte mit Originalzitaten und Skizzen von Albert Schmidt vorgestellt wurden. Darunter befindet sich auch die Geschichte des hydraulischen Akkumulators in Oberdahl für Dahlerau und der Hinweis, dass 1994 nur ein paar hundert Meter vom seinerzeit geplanten Pumpspeicherbecken eine andere umweltfreundliche Energiequelle entstanden ist, nämlich ein Windrad.
Wie erwähnt hat Arthur Koepchen, der Nachfolger Bernhard Goldenbergs beim RWE, niemals behauptet, das technische Prinzip des nach ihm später benannten Pumpspeicherwerks selbst erdacht zu haben. Man kann heute feststellen, dass Pumpspeicherwerke in den 1920er Jahren aus bestimmten technischen, vor allem aber wirtschaftlichen Gründen Konjunktur hatten, die ersten waren 1929/30 sozusagen zeitgleich das Koepchenwerk und das Werk Niederwartha in Dresden. Die Planungen für das Koepchenwerk begannen im Jahre 1927, also zehn Jahre nach dem Konzept des „hydraulischen Akkumulators“ von Albert Schmidt, von dem in jedem Fall Bernhard Goldenberg und sicherlich auch sein „Schüler“ und Nachfolger Arthur Koepchen wusste. Ist es gar zu verwegen, hier einen Zusammenhang nicht auszuschließen?
Übrigens wissen wir auch, dass die z.Zt. in den Medien so gepriesenen Pumpspeicherkraftwerke selbst auch einen erheblichen Eingriff in die Ökologie und ins Landschaftsbild darstellen können. Aber zu einem Super-GAU führt dieser nicht.