Das Lenneper Rathaus von 1889/90

05 März 2021 , Verfasst in Aus dem alten Lennep 

In den letzten Jahrzehnten haben die Lenneper Bahnhofstraße und die ganze Gegend dort mannigfaltige Umgestaltungen erfahren. Kriegsbedingt waren Charme und Würde der ehemalig kaiserlichen Prachtstraße bereits lange dahin, nur ein Gebäude stach optisch noch hervor, das die Lenneper Bevölkerung lange Zeit nur im Dornröschenschlaf und später als denkmalgeschütztes Renditeobjekt kennenlernte. Wenn überhaupt kannten die Lenneper das Gebäude unter der Bezeichnung „Amtsgericht“ bis in die Nachkriegsjahre, und kaum jemand wusste, dass dieses Gebäude einmal als Lenneper „Rathaus“ erstellt worden war und diese Funktion auch dreißig Jahre, nämlich bis zur Eingemeindung Lenneps nach Remscheid im Jahre 1929, wirklich besaß.

Vor ziemlich genau vierzig Jahren machte sich der Lenneper Oberstudienrat Dr. Michael Metschies die Mühe, eine kurze Bestandsaufnahme dieses Gebäudes zu erstellen, sicherlich auch im Blick auf die damalige 750-Jahrfeier, zu der Lennep sich entschlossen hatte, wenngleich es kein gesichertes Gründungsdatum der Stadt gibt. Metschies hebt anders als viele andere, die kunstgeschichtliche Bedeutung des Gebäudes hervor und dokumentiert bewusst die „Architekturgesinnung“ der kaiserlichen Gründerzeit kurz vor der vorletzten Jahrhundertwende.

Aber lassen wir ihn doch selbst sprechen (Anm.: Stand der Darstellung 1980. Der Beitrag von Dr. Michael Metschies wurde u.a. veröffentlicht in: „Die Heimat spricht zu Dir – Monatsbeilage des Remscheider General-Anzeigers“, 47.Jg., Nr. 12, Dezember 1980):

„Das ehemalige Rathaus und spätere Amtsgericht Lennep wurde 1889/90 von der Lenneper Baufirma des Architekten Albert Schmidt errichtet. Bis dahin hatte seit 1836 das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Bürgerhaus am Alten Markt als Rathaus gedient.“ Das „neue“ Rathaus weise „als charakteristisches Architekturbeispiel des Historismus eher gewisse Parallelen zum ‚Hotel de Ville‘––, dem Rathaus in Paris auf, das wenige Jahre zuvor (1874-1882) erbaut worden war. Das neue Rathaus, außerhalb der ehemaligen Stadtumwallung errichtet, sollte nach dem Willen der Stadtväter die Bedeutung der alten Kreisstadt angemessen repräsentieren. Der Baumeister hat daher die beiden Stuckfassaden an der Bahnhofstraße (damals Kaiserstraße) und der Düstergasse besonders sorgfältig gestaltet.

Abb. 1

Sockel und Erdgeschoss des Gebäudes weisen tief gefugtes Quadermauerwerk auf. Die Mauerwerksstruktur ist jedoch in Stuck nachgeahmt. Die Bossenquader des Sockels haben eine grobkörnige, die des Erdgeschosses eine glatte Oberfläche. Das einflügelige Portal ist in seinen wesentlichen Teilen erhalten, was heute als Besonderheit gelten muss. Der Kämpfer ist mit einem wellenförmigen Spiralband (Laufender Hund) geschmückt und trägt die Inschrift „ANNO 1890“. Die Türgitter wurden leider entfernt, das Oberlicht verändert. Mächtige, mit einem Akanthusblatt belegte Voluten bilden den Schlussstein im Türsturz und in den Fensterstürzen. Das Obergeschoss ist wesentlich reicher geschmückt. Die Zone des Übergangs vom Erd- zum Obergeschoss bildet über einem Gesims ein horizontales Band, das mit Beschlagwerk und Festons, im Mittelteil mit Balustern geschmückt ist. Drei Rundbogenfenster mit radialen Sprossen im Oberlicht beherrschen die Fassade. Die Fenster werden von vier Halbsäulen eingefasst, die gesamte Gruppe von zwei flachen Pfeilern (Pilaster) gerahmt. Rechts und links der Fenstergruppe befindet sich je ein Fenster, im Stil der Renaissance von flachen Pilastern eingefasst und von einem Dreiecksgiebel überdacht. Ein mit Rollwerk reich verziertes Band schließt das Obergeschoss zur Dachtraufe hin ab. An der Vorkragung des Gesimses hängen volutenförmige Konsolen, wie sie an Bürgerhäusern des 19. Jahrhunderts auch in Lennep üblich waren. Der mittlere, dreiachsige Gebäudeteil springt leicht hervor (Hauptrisalit). Obwohl die Mittelachse des Gebäudes stark betont wird, ist die Gesamtanlage nicht symmetrisch. Die Hanglage des Grundstücks auf dem Johannisberg (nach dem heute noch eine Straße benannt ist) hat den Baumeister veranlasst, das Gebäude nach Südosten zu erweitern und eine spezielle Ecklösung an der Einmündung der Düstergasse zu verwirklichen. Auch dieser Gebäudeteil springt aus der Fassade leicht hervor (Eckrisalit) und nimmt auf quadratischem Grundriss die Breite eines Fensterpaares ein. Dem turmartigen, prismenförmigen Dach fehlt heute die Bekrönung durch das schmiedeeiserne Gitter.

Im Obergeschoss des Eckrisalits stehen die Rundbogenfenster als Zwillingsfenster dicht nebeneinander. Die halbkreisförmigen Giebelfenster zeigen je ein Löwenpaar, das ein Wappen in den Klauen hält. Die beiden Fensterpaare werden von flachen Pfeilern eingefasst. Ein zweiter Eckrisalit an der nordöstlichen Gebäudeecke tritt weniger in Erscheinung, da die Dachkonstruktion auf ihn keine Rücksicht nimmt. Zwischen diesen beiden Eckrisaliten liegen noch zwei Fensterachsen. Die beiden Fenster des Obergeschosses sind mit Dreiecksgiebeln überdacht. Darüber ist das Motiv der Triglyphe (dreifache Rille) zu erkennen, das schon im Altertum den griechischen Tempel schmückte. Die Felder unter den Fenstern sind mit Engelsköpfen geschmückt. Bemerkenswert ist, dass die Ornamente der Stuckfassade im Schmuck der Fensterkreuze eine Entsprechung finden. Der Zahnschnitt auf dem Kämpfer der drei Rundbogenfenster an der Bahnhofstraße läuft weiter um die Kapitelle der als Pfeiler gestalteten Fensterlaibungen.

Das geschieferte Mansarddach trägt Dachgauben mit geschweiften Helmen. Dem vorspringenden Hauptrisalit trägt auch die Dachkonstruktion Rechnung. Die mittlere Dachgaube, von einem leicht geschweiften Tonnendach überwölbt, ist größer als die übrigen und weist als einzige ein Rundbogenfenster auf. Der Dachfirst trägt ein schmiedeeisernes Gitter. Die Fassade des ehemaligen Lenneper Rathauses wurde bis ins kleinste Detail mit äußerster Sorgfalt gestaltet. Dass der Stuck allen Witterungseinflüssen zum Trotz Jahrzehnte überdauert hat, spricht für eine solide handwerkliche Ausführung. Die Fassade wurde vor wenigen Jahren farblich neugestaltet. Der bauplastische Schmuck einschließlich aller Gesimse, Friese und Verdachungen befindet sich in einem sehr guten Zustand. Lennep darf sich glücklich schätzen, mit dem Gebäude ein Musterbeispiel für die Architekturgesinnung der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts zu besitzen“.

 

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