Vor einiger Zeit wies mich eine Bekannte darauf hin, dass an der ehemaligen Tankstelle in der Lenneper Gartenstraße, gleich rechts neben der Eisenbahnunterführung, ein Zettel angebracht sei, der auf bald beginnende Arbeiten vor Ort hinweise. Der Zettel befand sich wohl schon seit längerer Zeit dort, und vielleicht sollte er potentielle Fremdparker dort verscheuchen, wo seit vielen Jahren ältere Transportwagen und Abfallbehälter unter- und abgestellt wurden. Im Herbst 2017 konnte man vor Ort dann erhebliche Veränderungs- und Verschönerungsarbeiten bemerken. Wie dem auch sei, für meine Lenneper Unterlagen hatte ich schon länger hin und wieder Fotos dieser Tankstellenruine erhalten und in mein Archiv eingeräumt. Lange war der Ort ja ein Lenneper Schandfleck, und hässliche Stellen oder Anblicke gibt es ja leider in Lennep zur Genüge. Ja, vielleicht wird man sich fragen, warum bei einem Menschen wie mir überhaupt nun ausgerechnet die ehemalige Tankstelle in der Gartenstraße interessiert. Wie heißt es so schön: das kann man nur historisch erklären, und in diesem Fall zusätzlich auch persönlich, weil nämlich das umliegende Areal an der Lenneper Gartenstraße mit meiner Kindheit und Jugend zu tun hat. Aufgewachsen am Mollplatz besuchte ich oft einen guten Freund in der Gartenstraße, dessen Familie zunächst in einem uralten Haus am Bahndamm schräg hinter der Tankstelle und später direkt an der Gartenstraße neben ihr wohnte. In den 1950er Jahren und auch noch Anfang der 60er Jahre gehörte der genannte Bereich sozusagen zu meinem Alltag. So kann ich mich auch noch gut an die Tankstelle erinnern, so wie sie damals in Betrieb war. Wir sahen die Kraftstofflieferungen per dickem schwarzen Schlauch unter dem Betonboden verschwinden, Autos wurden repariert und gewaschen, der Vater eines weiteren Freundes tankte hier mit seinem Mercedes und fuhr mit Kickdown davon.
Um die fünfzig Jahre nach meinen frühen Erlebnissen korrespondierte ich mit dem Bruder des erstgenannten Freundes, der um die zehn Jahre älter als ich die Geschehnisse an der Gartenstraße viel bewusster wahrgenommen hatte. So berichtete er, dass schon er und seine Geschwister, wenn es schön und trocken war, als kleine Kinder um die Tankstelle herum und in Richtung Bahnkörper gespielt hätten. Nach seiner Aussage war die Tankstelle in den Zeiten um 1939/40 schon existent, und sie wurde von einem Tankwart betrieben, der auch in dem engen Gebäude wohnte, mit einer Waschmöglichkeit und auch mit einer Toilette. Er hatte sogar Telefon, was für die damalige Zeit nicht selbstverständlich war, und wenn ein Anruf kam, während er sich draußen aufhielt, wurde eine an der Außenwand angebrachte Klingel betätigt, so dass er den Anruf drinnen entgegennehmen konnte. Zur Straße hin waren zwei Zapfsäulen, eine Einrichtung für Schmierstoffe und Werkzeug sowie weiteres Zubehör verfügbar. In der Tiefe der Liegenschaft, ich folge hier weiter den Angaben des Zeitzeugen, gab es mehrere Tanks. In der Kriegszeit sorgten sich deswegen die umliegenden Anwohner, was den wohl mit ihnen passieren würde, wenn die Bomben der Feinde auf die nur wenige Meter entfernte Bahnstrecke fallen sollten und die hochexplosiven Kraftstoffvorräte dabei „hochgehen“ würden. Der Pumpvorgang über die Zapfsäulen wurde übrigens damals schon elektrisch abgewickelt und im Allgemeinen lief der Betrieb an dieser Tankstelle vor der Eisenbahn ruhig ab, wobei es Ende der 1930er Jahre hier naturgemäß „noch ruhiger“ wurde, da das Benzin wegen seiner Kriegswichtigkeit streng „bewirtschaftet“ wurde. Schon seinerzeit stand die Firmenbezeichnung „Homberg“ gut zu lesen auf einem Schild über der Straßenfront zur Gartenstraße hin, das Schild wurde dann während des Krieges beschädigt. Neben der hier beschriebenen Tankstelle an der Lenneper Gartenstraße gab es nach dem Bericht des Zeitzeugen in Lennep noch weitere Homberg-Tankstellen, z.B. an der Rader Straße, Ecke Ringstraße, gegenüber dem kleineren Stadionplatz, weiterhin auch solche des Konzerns „Rheinpreußen“, etwa an der Straße „Zum Johannisberg“ auf dem Gelände der Spedition von C. Kluthe´s Söhne. Und in der Gartenstraße entstand später noch eine SHELL-Tankstelle. Alle sind heute vergangen, die Pächterfamilien haben in Lennep z.T. spätere Tankstellen begründet.
Die Tankstelle an der Lenneper Gartenstraße im September 2017. Im Oktober 2017 zeigte sich eine renovierte Version (Foto: Stadtarchiv Remscheid, Ausschnitt)
In den Jahren direkt nach dem 2. Weltkrieg, so erinnert sich der damals etwa zehnjährige Zeitzeuge, tauchte für die Anwohner an der Gartenstraße zum ersten Mal der Name eines Willi Schäfer auf, der sich für den Erwerb der anliegenden Häuser und Liegenschaften einschließlich des Tankstellenbetriebs interessierte. Der Herr war in Lennep unbekannt und wurde mal als Pächter der Tankstelle, ein anderes Mal auch als Kaufmann und Unternehmer beschrieben, der andernorts auch eine Werkzeugfabrikation betrieb. Jedenfalls erwarb er an und hinter der Gartenstraße Häuser und Grundstücke und ließ die hinteren Wohneinheiten abreißen, um dort Garagen einzurichten. Im 1952 erschienenen „Gemeindebuch des Kirchenkreises Lennep“, das in einem 40seitigen Anhang die seinerzeit existenten Geschäfte verzeichnete, findet sich u.a. eine größere Anzeige dieses Herrn Schäfer, mit der er für seine „Großtankstelle“ an der Gartenstraße 13 wirbt, wobei der Begriff Großtankstelle wohl in einem Bezug zu den sog. Homberg-Tankstellen begründet ist, wie wir noch sehen werden. Für sich allein genommen, wäre der Begriff wohl angesichts der aus heutiger Sicht bescheidenen Dimensionen vor Ort unangemessen gewesen. Die „Großtankstelle“ bot damals an: „Benzin, Benzol, Dieselkraftstoff, Sämtliche Autoöle und Fette“, weiterhin eine „Erstklassige Wagenpflege“, für die auch eine „Moderne Hebebühne“ zur Verfügung stand. Die beschränkenden Zeiten der Besatzung durch Briten und Belgier in Lennep waren nun überwunden, frei benutzbare Motorantriebe nahmen wieder zu und das Tankgeschäft begann wie überall in Westdeutschland zu blühen.
Die Tankstelle im August 1973, bei entsprechender Vergrößerung sieht man das Homberg-Emblem noch verwendet. Werbeanzeige der Tankstelle Willi Schäfer im Jahre 1952, Repro: Lenneparchiv Schmidt
Zwei Aspekte wollen wir hier nun bezüglich der ehemaligen Tankstelle an der Lenneper Gartenstraße noch hervorheben: das seinerzeit regionale Tankstellennetz von Homberg und den damals beliebten Typ der sog. Flugdachtankstelle. Im Sommer des Jahres 2013 trat das Detmolder Freilichtmuseum mit der Neuigkeit an die Öffentlichkeit, ein Siegerländer Dorf entstehen zu lassen, so wie es vor 50 Jahren ausgesehen hat. Dabei wurde als Highlight eine 1951 in Siegen- Niederschelden gebaute Tankstelle im Zustand der 1960er Jahre wieder hergerichtet. Die rot-blauen Tankeinrichtungen tragen das Logo des längst vergangenen Wuppertaler Mineralölgroßhandels Homberg. Die begleitenden Presseveröffentlichungen hoben in diesem Zusammenhang hervor, dass der Name J. & A. Homberg heutzutage nur noch eingefleischten Fans der Benzinszene oder älteren Autofahrern aus dem Siegerland, dem Bergischen Land und dem Ruhrgebiet bekannt sein dürfte. Die Firma betrieb vorwiegend in den 1950er und 1960er Jahren in Siegen, Solingen sowie den umliegenden Gebieten ein eigenes Tankstellennetz. „Homberg – eine fast vergessene Marke“ hieß es in diesem Zusammenhang, und man berichtete über die „Rückkehr eines großen Treibstoffhändlers“, wenn auch nur ins Museum.
Die Abbildung stammt aus der Broschüre „Eine Tankstelle fürs Museum“ (2013) des LWL-Freilichtmuseums Detmold. Westfälisches Landesmuseum.
Es ist hier nicht der Ort, die Geschichte der Firma J. & A. Homberg im Einzelnen nachzuverfolgen. Wie schon unser Lenneper Zeitzeuge aus eigener Anschauung berichtete, existierte die Firma bereits vor dem 2. Weltkrieg und umfasste in den 1950er Jahren mehr als 25 Tankstellen, die sich „Großtankstellen“ nannten, weil sie anders als die vielen Tankanlagen, die z.B. auch in Lennep seit den 1920er Jahren bei Firmen und Hotels installiert waren, mehr als eine Zapfsäule umfassten und außer dem Benzin weitere eigene Produkte anboten. Wie auch von unserem Lenneper Zeitzeugen hervorgehoben, besaß die Firmenwerbung ein auffälliges eigenes Design in den Farben Blau und Rot und dem deutlich sichtbaren Schriftzug „Homberg“ in einer Raute: Die optisch durchaus einprägsame Gestaltung blieb auch lange noch bestehen, als sich die Firma nach der ersten großen Ölkrise dem Netz der damaligen AVIA-Tankstellen anschloss. Übrigens sollen heutzutage überhaupt nur noch vier der Homberg-Zapfsäulen existieren.
Auch in Lennep ist die Zeit der Homberg-Tankstellen natürlich längst vorbei. Ein „Netz“ war regional vor allem entstanden, als am 1. April 1951 nach der deutschen bzw. später alliierten Zwangsbewirtschaftung in Westdeutschland der freie Markt zurückkehrte, und der immense Nachkriegsaufschwung bei den Neubauten oder der Neugestaltung der Tankstellen hatte dabei auch einen architektonischen Aspekt: es entstanden zahllose sog. Flugdachtankstellen. Bei diesen Konstruktionen ruhte das dem Gebäude vorgelagerte Dach über den Zapfsäulen lediglich auf ein oder zwei Stelen und war entweder viereckig, rund oder oval gestaltet. Oft war es auch mit dem Dach des eigentlichen Tankstellengebäudes direkt verbunden, so auch in der Lenneper Gartenstraße. Man konnte sowohl vor den Zapfsäulen wie auch hinter ihnen einparken und trockenen Fußes in das eigentliche Tankstellengebäude gelangen. Die vor Niederschlag zu schützende Fläche blieb aber immer im Wesentlichen als offener Raum erhalten.
Die ehemaligen Flugdachtankstellen in Greifenberg bei Landsberg am Lech im Jahre 2011 (Foto: Romi Löbhard) und in Gießen 2017 (Foto: W.R. Schmidt)
Der hier kurz beschriebene Tankstellentyp existierte z.T. bis in die 1980er Jahre hinein, wechselte oft in die „großen Marken“ wie SHELL oder ARAL und wurde insbesondere wegen der flächenmäßigen Beschränktheit nach und nach aufgegeben. In vielen Fällen verrotteten das Areal und seine Gebäude völlig. Aber der Nichtabriss hat heutzutage auch in manchen Fällen zur Folge, dass die ehemaligen Tankanlagen unter dem Motto „Back to the fifties“ restauriert und neu genutzt werden. So fand etwa eine ehemalige Tankstelle im oberbayerischen Greifenberg bei Landsberg am Lech den Weg in die Denkmalliste, soll mit seinem Flugdach erhalten bleiben und wurde ein beliebter Treffpunkt für Oldtimerfreunde aus der Region. Ein anderes Beispiel ist mir aus Gießen bekannt, wo eine ehemalige Flugdachtankstelle aus den Jahren 1945 bis 1955 ebenfalls als Kulturdenkmal gelistet ist. An der hauptsächlichen Ausfahrtstraße in Richtung Frankfurt diente sie nach ihrem eigentlichen Betrieb noch als Teil einer dahinter liegenden Autowerkstatt, und heute bietet hier eine Firma namens „Salädchen“ frische Speisen an. Dabei wurde der Raum zwischen der einzigen Vorbaustütze und dem jetzigen Verkaufsraum mit einem hölzernen Ausgleichspodest auch für ein paar Sitzplätze hergerichtet und dem Gebäude ein neuer, natürlich grüner, Anstrich verpasst. Es scheint also so zu sein, dass die historische Überlebtheit der ursprünglichen Tankstellen der 1950er Jahre nicht in jedem Fall zum gänzlichen Abbruch führt, unterschiedliche Nutzungen haben wir ja in diesem kurzen Beitrag kennen gelernt, und für das alte Lennep ist eigentlich nur zu wünschen, dass das über Jahrzehnte sehr unansehnliche Tankstellenareal an der Gartenstraße nunmehr eine wie auch immer geartete „schönere“ Nutzung erfährt, vielleicht als Büro eines KFZ-Sachverständigen, als Versicherungsbüro oder auch als Autoverleih. Wir werden dies natürlich für unser Lenneparchiv historisch festhalten.