Bald schon ist Heiligabend, und trotz Corona werden auch im Jahre 2020 Geschenke ausgepackt. In vielen Haushalten kommt eine Gans auf den Tisch oder andere schöne Gerichte, die die meisten von uns sich heutzutage leisten können. Wir leiden sehr unter der Pandemie, aber der heutige Blick zurück zeigt uns, dass es früher auch schwierige Zeiten gab, u.a. solche, wo man sich genau überlegen musste, was man überhaupt auf den Tisch bringen konnte. In meinen Lenneper Materialien fand ich dieser Tage ein Original des unten wiedergegebenen Schulspeisezettels, schön „abgenudelt“ wahrscheinlich auf einer frühen Rotaprint Kurbelmaschine für eine beschränkte Anzahl von Kopien. Solche Maschinen waren in der nichtdigitalen Zeit unersetzliche Arbeitsmittel für Behörden, Firmen und Ausbildungsbereiche. Unser Remscheider Original ist, auch wegen der damals schlechten Papierqualität, entsprechend vergilbt und brüchig. Schauen wir doch mal, was den Nachkriegsschülern damals als von den Besatzungsmächten eingerichtete Schulspeisung geboten und den einzelnen Schulen zugeteilt wurde, der Nährwertdurchschnitt sollte 353 Kalorien betragen. Unterzeichnet wurde der hier präsentierte historische Print seinerzeit von Dr. Hans Tigges, von dem beim Geschichtsverein noch ein Bändchen zur Remscheider Nachkriegsgeschichte erhältlich ist. Es trägt den Titel „Eine Stadt half sich selbst – Remscheid nach dem Kriege – Aus den Erinnerungen eines Zeitzeugen“.
Unter dem Motto „Remscheid hilft sich selbst“ in den Wintern 1946/47 und 1947/48 fand übrigens auch eine beispiellose Hilfsaktion zugunsten der Bombengeschädigten, der KZ-Entlassenen, der Flüchtlinge und der heimkehrenden Kriegsgefangenen statt. Hier zeigte sich die Solidarität der Bevölkerung mit denen, denen der Krieg alles genommen hatte. Gespendet wurden Berge von Bekleidung, Hausrat, Möbel, alles das, was es regulär nicht zu kaufen gab. Obwohl es nach den Kriegsjahren an fast allem mangelte – die Menschen teilten! Die Aktion erregte weit über die Stadt hinaus großes Aufsehen. U.a. gab es eine Verlosung zu Gunsten dieser Aktion. In meinen Archivunterlagen finden sich hierzu noch zwei gut erhaltene Losexemplare, die ich hier nicht vorenthalten möchte:
Zum obigen Artikel schrieb Johann Max Franzen am Samstag, dem 12. Dezember 2020, im Remscheider „Waterbölles“:
Gedanken eines 77-jährigen zu Adventszeit. Wie selbstverständlich gehen wir in den Supermarkt an die Fleischtheke und kaufen Fleisch und Wurst ein und machen uns wenig Gedanken, in welcher reichen Konsumgesellschaft wir hier leben. Sicherlich sehen wir täglich, LPR wie in den Tötungsfabriken die Tiere „verarbeitet“ werden, und das ist grausam und es wird nur an den Gewinn der Fleischkonzerne gedacht. In meiner Jugendzeit haben wir gewusst, wo das Fleisch und die Wurst herkam. Es waren alles Tiere, die nur gehalten wurden, um gegessen zu werden. Wir als Kriegs- bzw. Nachkriegskinder haben Hunger miterlebt. Für uns war der Gockel Hansi oder die Sau Emma nur ein Nahrungsmittel und wir Kinder waren mit dabei, wenn die Sau im Keller des Hauses geschlachtet wurde und wir waren froh, wenn wir mithelfen durften, dass Blut für die Blutwurst zu rühren oder die Borsten abzuschruppen, denn es gab dann frisches abgekochtes Wellfleisch zu essen. Damals schmeckte die selbstgemachte Leberwurst aus dem Weckglas noch nach Leber, und wir Kinder waren froh, wenn wir ein Stück Brot, bestrichen mir Margarine und Wurst belegt, zu essen bekamen. Und das schmeckte! Sicherlich haben wir auch „geschluckt“ beim Essen und wir wussten genau, dass der Hansi und die Sau Emma nicht mehr in ihrem Stall waren. Auch waren wir dabei, als das Kaninchen getötet wurde, an den Hinterläufen aufgehängt und ihm das Fell über die Ohren gezogen wurde. Das Fell wurde zum Altwarenhändler gebracht. Dafür gab es 50 Pfennig. Was ein Reichtum, denn von den Eltern gab es kein Taschengeld. Sollten wir doch an die viele Leute nicht nur denken, sondern sie auch unterstützen, die nicht einfach an die Fleisch- und Wursttheke gehen können, weil sie das Geld nicht haben?
Antwort von Dr. Wilhelm R. Schmidt am Samstag, dem 12. Dezember 2020
Den Beitrag von Johann Max Franzen kann ich nur bestätigen. Ich bin zwar noch nicht ganz so alt, aber ich erinnere mich noch deutlich an die Hühner (mit je eigenen Namen) bei uns am Mollplatz, die dann gekocht oder gebraten wider Erwarten doch schmeckten. Kaninchen dito. Manchmal brachte mein Vater (Bauunternehmer) geschossene Kaninchen auch vom Jäger Hückesfeld vom Westerholt. Sie waren ggf. gegen Zement getauscht und wurden an einen Haken an der Tür gehängt usw. Die ausgelösten Schrotkugeln bekam ich dann zum Spielen, eine Pfote wurde abgehackt für unseren Kater Kasimir, der dann zwei Wochen damit herumtollte. Die Felle wurden übrigens bei uns nicht zum Fellhändler gebracht, sondern vom Fachmann gegerbt. Sie gibt es z.T. heute noch, anders als die Pulswärmer, gestrickt aus Schafwolle ….
Horst Kläuser am Sonntag, dem 13. Dezember 2020 zum Thema „Remscheid hilft sich selbst“ (1947/1948)
Aus den wunderbaren, wenn auch bedrückenden Erinnerungen von Herrn Franzen und Herrn Schmidt spricht zunächst der Blick zurück, der wichtig und wertvoll ist. Aus dem Dargestellten folgen allerdings unmittelbare Einsichten für heute. Die Not der Menschen damals war echt, Mangel, echte Einschränkungen waren an der Tagesordnung. Ich selbst habe nie materielle Not erlebt, nie gehungert, nie um meine Freiheit (hier) bangen müssen. Aber natürlich habe ich aus vielen Ländern berichtet, wo existenzielle Not herrscht, habe in der Schein-Demokratie Russlands fünf Jahre lang gelebt. Das Aktuelle der Schilderungen ist doch, dass jetzt hierzulande Menschen auf die Straße gehen und behaupten, ihnen würden Freiheiten genommen, sie litten Not, sie lebten in einer Diktatur. Und warum? Weil die selbsternannten „Querdenker“ sich nicht an Regeln und Vorgaben halten wollen und so zur Weiterverbreitung des Virus beitragen. Wenn es eine Not in Deutschland gibt, dann ist die der Kranken, die Trauer der Hinterbliebenen, die Angst der Genesenen. Es gibt keine materielle Not, die Fleisch- und Gemüsetheken bersten vor Angeboten, die Medien sind nach Belieben verfügbar, unsere Justiz funktioniert, Politiker und 90 Prozent der Menschen leben verantwortungsvoll – nur eine Handvoll Idioten schwadroniert von Diktatur, Meinungseinschränkungen und Freiheitsberaubung. Es ist gut, dass es Menschen wie die beiden Herren gibt, die an Zeiten erinnern, in denen nicht alles selbstverständlich und immer verfügbar war.