Liebe Lennepfreunde, können Sie sich noch an das hier abgebildete Haus an der Lüttringhauser Straße 10 erinnern? Es existiert ja jetzt im Jahre 2020 schon rund fünfzig Jahre nicht mehr, denn es wurde im Zusammenhang der Veränderungen an der Poststraße, am Mollplatz und der unteren Lüttringhauser Straße abgerissen. Das lang gestreckte Haus ging noch zurück auf die alte Lenneper Posthalterei, aber schon um 1900 gab es hier die Spezereihandlung Julius Heyer (vormals Familie Carl vom Berg), die noch nach dem Zweiten Weltkrieg von Walter Heyer als Lebensmittelgeschäft weiter geführt wurde. In dem Gebäude waren unten ursprünglich eine Wagenremise und eine Schmiede für den Hufbeschlag der Postpferde untergebracht, weiterhin eine Reparaturwerkstatt für die Postwagen, oben im ersten Stockwerk gab es von alters her den Heu- und Strohboden.
Ich kann mich noch sehr gut erinnern, dass ich in den 1950er Jahren im Heyerschen Laden für fünfzig Pfennig einen massiven Würfel dunkle bittere Blockschokolade bekam, eine „echte, richtige“ Tafel Markenschokolade kostete damals 1,30 DM oder mehr, weil die Preisbindung dafür noch nicht aufgehoben war. Heyers Laden lag zwei Minuten von unserem heute nicht mehr existenten Haus am Mollplatz entfernt, und unser Kater Kasimir begleitete meine Oma oft zu den Einkäufen. Wollte man Spirituosen kaufen, dann griff sich Herr Heyer, immer im blütenweißen Kittel, einen langgezogenen Stockgreifer und fischte damit die entsprechende Flasche aus einem hohen Wandregal, der Verkaufsraum war durchaus beengt, und man musste die Höhe der ehemaligen Stallung ausnutzen.
Unter den mannigfaltigen Lenneper Texten, die im Laufe der Zeit von den verschiedensten Seiten an mich und mein Lenneparchiv übergingen, befindet sich auch eine Erzählung, oder sagen wir besser gleich ein „Erzählchen“, das angeblich auf die Erinnerungen der ehemalig dortigen Kaufmannsfamilie Heyer zurückgeht. Es handelt von einer „Fahrerflucht der Wupper-Sieg-Kraftverkehr-AG.“ Kennt man denn in Lennep diese Verkehrsgesellschaft noch? In Wikipedia heißt es dazu: „Das Busunternehmen Wupsi GmbH, ehemals Kraftverkehr Wupper-Sieg AG wurde am 3. März 1924 vom Kreistag des ehemaligen Kreises Wipperfürth gegründet …“. An die Busse dieser Verkehrsgesellschaft können sich viele Lenneper noch erinnern, einer ihrer Haupthaltepunkte zum Ein- und Umsteigen war der Bismarckplatz.
Unser Foto zeigt den bewussten Lebensmittelladen der Eheleute Walter Heyer an Lüttringhauser Straße 10 in den 1960er Jahren. Die Lüttringhauser Straße in Lennep war damals mittig sehr stark gewölbt, sie fiel also sowohl nach links als auch nach rechts ab, um die Regenmassen in die Gossen abzuleiten, was dazu führte, dass insbesondere höhere Wagen manchmal in Schräglage gerieten. Schon bei einer früheren Straßenverbreiterung hatte man, wie auch bei der darunter liegenden Posthalterei, das uralte Gebäude Lüttringhauser Straße 10 nur retten können, indem man sein Parterre an einer Ecke abschrägte und damit verkürzte. Dies reichte zwar für die Anlage eines modernen Bürgersteiges, jedoch stand das Obergeschoß darüber weiterhin hervor. Ältere Lenneper können sich daran sicherlich noch gut erinnern oder haben von ihren Eltern davon gehört. Die Lüttringhauser Straße war von Alters her sehr stark frequentiert. Sie wurde in den 1960er Jahren auch vom Schwerlastverkehr und vielen Bussen genutzt.
Über dem Heyerschen Geschäft war seinerzeit das Wohnzimmer der Familie mit einem Gläserschrank in der Nähe der überstehenden Ecke. Irgendwann wurde die Familie spätabends durch ein Rappeln der Gläser aufgeweckt. Man sprang auf, konnte aber in den Wohnräumen nichts entdecken, was auf den Grund des Rappelns hätte schließen lassen können. Am nächsten Morgen jedoch erkannten die Eheleute Heyer an der überstehenden äußeren Hauswand Lackspuren von roter Farbe, die nur von einem Fahrzeug der „Wupper-Sieg AG“ (Wupsi) herrühren konnten.
Diese Annahme sollte sich dann auch bald bestätigen. Einige Tage später kam ein Brief der Wupsi, in dem mitgeteilt wurde, dass einer ihrer Busse vor Ort durch die Gebäudeecke beschädigt worden sei. Es war ja bekannt, dass vor Ort bei Gegenverkehr höhere Fahrzeuge, je näher sie an die Bordsteinkante heranfuhren, rechtslastig in eine gefährliche Nähe der überstehenden Hausecke kamen und diese manchmal streiften. Jedenfalls fragte die Wupsi AG an, wie sich die Hauseigentümer Heyer die Regulierung des Schadens denken würden, da das Dach des Busses aufgeschlitzt sei. Die Eheleute antworteten damals, man solle ruhig kommen, ihr guter Anwalt werde das schon alles erledigen, denn jetzt kenne man ja den Verursacher der Hauswandbeschädigung, der Fahrerflucht begangen hätte. Danach war die Angelegenheit der Erzählung nach beendet. Ob dieses „Erzählchen“ zur Gänze stimmt, oder nur teilweise, wie auch immer, in jedem Fall ist es geeignet, uns einen Aspekt des früheren Lennep wieder einmal nahe zu bringen, denn das Gebäude und die Kaufleute gibt es nicht mehr, und das Areal sieht seit den 1970er Jahren gänzlich anders aus, aber Verkehr gibt es dort immer noch.
Zum Schluss zeigen wir hier noch den unteren Teil der frühen Lüttringhauser Straße von der oberen Seite her. Hier sieht man das bewusste Haus rechts noch in der ursprünglichen Form in die Straße hinein stehend, also ohne dass im Parterre, da wo die weiß verputzte Wand zu sehen ist, eine Ecke herausgenommen wurde. Während auf dem oberen Foto aus den 1960er Jahren die Straßenbahn nach Remscheid und Lüttringhausen schon Geschichte war, so ist diese auf der unteren Abbildung aus dem Jahre 1906 noch nicht angelegt. Die Lenneper mussten darauf noch rund zwei Jahre warten. Damals hieß die Straße übrigens noch Elberfelder Straße, und man sieht links die steinernen Anwesen einer Bank und einer Baufirma. Unterhalb dieser modernen Steinhäuser erblickt man in der Mitte der Straße noch ein uraltes Gebäude an der Ecke zur Straße Knusthöhe. In diesem Eckhaus, dem vormaligen Gasthof „Schingen“ bzw. „Im Weinberg“ war im 19. Jahrhundert der hintere Teil zur Verwalterwohnung der Posthalterei eingerichtet. Ein langer Stall und ein Wirtschaftsgebäude mit großer Scheune lagen an der Seite gegenüber der Poststation entlang der heutigen Lüttringhauser Straße. Das Gebäude ist anfangs der 1880er Jahre abgebrannt. Verkohlte Speckseiten sollen nach dem Zeugnis des Lenneper Heimatforschers Carl vom Berg damals über die Straße geflogen sein. Sie stellten für weitere Häuser dort eine enorme Brandgefahr dar. Heute sieht, wie wir wissen, hier alles anders aus, aber mit der traditionellen Enge und der damit verbundenen Brandgefährdung verschwand natürlich auch ein gutes Stück vom Alten Lennep.