Wenn wir heutzutage die Zeitungen aufschlagen, dann sehen wir öfters Hinweise auf so manchen Lenneper Verein, der eine Geschichte von einhundert Jahren oder noch länger aufweisen kann. Es wäre sehr interessant, einmal eine umfassende Lenneper Vereinsgeschichte zu schreiben. Heute soll es jedoch speziell um diejenigen historischen Gesellschaften gehen, die sich eher als gesellschaftliche Clubs verstanden und meinten, mit einem Radfahrerverein z.B. oder dem Hahnenverein von Fünfzehnhöfe wenig gemein zu haben, erst recht nicht mit der Vorstellung eines „großartigen Ringkampfes mit einem Neger“, so 1878 im Saal des F.W. Keil, dem Vorgänger Hermann Windgassens im Kölner Hofs.
Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es ein stark entwickeltes Gesellschaftsleben in der damaligen Kreisstadt Lennep, Fernsehen, Internet und Spielkonsolen gab es ja noch nicht, und so bestand ein großes Bedürfnis nach Geselligkeiten im öffentlichen Raum, vor allem in den Wirtschaften, die damals mehr als heute auch zusätzliche Gesellschaftsräume umfassten. Ganze Generationen hatten Tanzstunde im Berliner Hof und feierten im Garten des Kölner Hofs auf dem Grund des späteren Modernen (Lichtspiel-)Theaters. Da es noch kein Kino gab, nutzte man die größeren Räume mit Bühne ausgiebig für Vorstellungen lokaler und auswärtiger Theatergruppen, für Versammlungen und für Konzerte. Auch Freilichtbühnen gab es, z.B. am Lenneper Stadtgarten, und noch lange nach 1945 gab es Konzerte im Lenneper Hardtpark. Sicherlich wurden Szenen aus Shakespeares Sommernachtstraum aufgeführt, und manchmal der Raub der Sabinerinnen der Wiener Brüder Schönthan. Wie in dieser skurril-tragischen Komödie musste wohl auch in Lennep das Drehbuch an die defizitären Lokalverhältnisse oftmals erst angepasst werden. Am ehesten wurde die Tradition theatralischer Aufführungen später noch in den großen Schulen mit umfänglichen Aulen beibehalten, wo manchmal bis heute Vorführungen stattfinden. Dass man nach dem Zweiten Weltkrieg für die Abwicklung der Vorstellung brennbares Heizmaterial mitbringen musste, gehört zu einem anderen Thema. Ich selbst erinnere mich noch sehr genau an die Schüleraufführungen der 1960er Jahre, als im Lenneper Röntgengymnasium Des Kaisers neue Kleider aufgeführt wurden. Einer meiner Mitschüler war der Kaiser, der mit langen weißen Unterhosen auf der Bühne seine von der Regie geforderte Nacktheit simulierte. Ich selbst probte eine Zeit lang am Sonntagmorgen im Saal des Königs von Preussen am Lenneper Alten Markt. Zu einer Aufführung kam es jedoch nie.
Die öffentlichen Aufführungen reichen wie gesagt in Lennep zurück bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ganz anders als heute jedoch versuchte man damals, die Interessenten möglichst nur in der je eigenen Gesellschaftsschicht zu finden. Gleich und gleich gesellt sich gern, so heißt es ja im Sprichwort, und es versteht sich von selbst, dass sich die Kaufleute und ihre Spitzenkräfte, die man damals Beamte nannte, nicht gern mit den einfachen Handwerkern an einen Tisch setzten. Vielmehr traf sich die sog. Kaufmannsgesellschaft, ein Klub begüterter Familien, lieber in den oberen Räumen des Amtsgerichts am Alten Markt und ließ sich später an der heutigen Bergstraße ein eigenes prunkvolles Gebäude errichten, das spätere Hotel zu Post, sogar mit eigenem großem Weinkeller, denn historischen Berichten zufolge war man sehr trinkfreudig und machte nebenbei „bergische Politik“.
Natürlich konnte damals nicht jedermann einfach in eine solche Gesellschaft eintreten, sondern es wurde jeweils über neue Mitgliedschaften erst entschieden. So wie dies heute noch in der Freimaurerei vielleicht oder bei den Schlaraffen üblich ist, wurde auch in manchen Lenneper Vereinigungen im 19. Jahrhundert dazu die sog. Ballotage oder dt.: Kugelung angewendet. In geheimer Abstimmung wurde über die Aufnahme des Aspiranten mit einer weißen bzw. schwarzen Kugel abgestimmt. Die soziale Zugehörigkeit war dabei in der Regel entscheidender als die persönliche Leistung des Beitrittswilligen. Natürlich gab es auch politisch ausgerichtete Vereinigungen, neben den konservativen bzw. royalistischen nach und nach immer mehr auch liberale, sozialdemokratische und revolutionäre. Eine Gesellschaft mit der Bezeichnung Das Parlament hatte ihr Lokal zunächst in der Berliner Straße und wechselte dann in das heute nicht mehr existente große Haus gegenüber dem Berliner Hof, das seit den 1830er Jahren als Geschäfts- und Vereinshaus bestand. Die Gesellschaft huldigte wohl den Idealen der bürgerlichen Revolution von 1848 und dem Parlament der Frankfurter Paulskirche. Zum Mollplatz hin hatten die Räume im ersten Stock einen saalmäßigen Charakter mit großen Verbindungsklapptüren der einzelnen Räume. Bei seinem Abriss 1971 fand man im Keller noch Gewölbe vor, die einst als Bierkeller gedient hatten, und es ist bekannt, dass in einem Anbau im Park in Richtung Gartenstraße im frühen 19. Jahrhundert Kegelbahnen installiert waren. Im Jahre 1849 scheint diese Gesellschaft erloschen zu sein, denn die damaligen Zeitungen berichten über die Versteigerung des gesamten Mobiliars. U.U. waren die Lenneper Mitglieder untereinander auch so unterschiedlich wie die Abgeordneten in Frankfurt, in einer Person war so mancher überzeugter Christ, glühender Nationalist, Bürgerdemokrat und vehementer Judenfeind, was zu laufend wechselnden Allianzen führte.
Der berühmteste Frankfurter Abgeordnete unserer Region war übrigens Eduard Hülsmann. Im Jahre 1848 vertrat er den Wahlkreis 27, Provinz Rheinland, im Paulskirchenparlament. Er hatte evangelische Theologie in Bonn studiert und schloss sich dort der Alten Bonner Burschenschaft an. Ab 1837 wirkte er als Prediger, Schulpfleger und Pfarrer in Lennep. Er war sehr beliebt, und um ihn rankt sich so manche Lenneper Geschichte. Als es um seinen Nachfolger ging, entstand der Spruch: Ach, hätten wir doch einen Hülsmann wieder.
Eine weitere Gesellschaft war in Lennep die Zum Roten Ochsen, sie soll in einer damals gleichnamigen Gaststätte in der unteren Kölner Straße zusammen gekommen sein. Eine Loge zur Bergischen Bruderkette im Orient Lennep residierte ab 1912 im ursprünglich evang. Vereinshaus an der oberen Bahnhofstraße unterhalb des Hotels Kaiserhof, später Zentrale des RWE. Teile des Geschirrs mit Schriftzug verwahre ich noch heute in meinem Lenneparchiv.
Bekannter als die bisher genannten Gesellschaften ist im heutigen Lennep sicherlich die Gesellschaft Union, deren Räumlichkeiten an der Kreuzung Kölner Straße/Wupperstraße gelegen waren. Der Lenneper Baumeister Albert Schmidt beschäftigte sich damit seinerzeit in einem Zeitungsartikel, weil er dort in seiner Jugend Mitglied gewesen war, und weil er dem Betreiber des Etablissements, Carl Wilhelm Vollmer, samt seiner Familie ein Denkmal setzen wollte. Die Gesellschaft wurde am 28. Februar 1829 von Bürgern des Lenneper Mittelstandes gegründet, während die oberen Stände wie schon erwähnt lieber in der Kaufmannsgesellschaft verkehrten. Bis Anfang der 1860er Jahre kamen die Mitglieder im Winter am Alten Markt zusammen, und für den Sommer war an der Wupperstraße zunächst nur ein kleiner Kegelsaal mit Bahn im Garten vorhanden, der allerdings laufend vergrößert und umgestaltet wurde, so dass man dort sehr angenehme Erholungsstunden zubringen konnte. Später dann wurde noch ein Konzertsaal mit Erker für das damalige Freimaurerkränzchen geschaffen.
Wichtig für uns Heutige erscheint, dass die genannten Räumlichkeiten und Einrichtungen zunächst nur der Gesellschaft selbst zur Verfügung standen, die sie allerdings oft an Vereine vermietete, z.B. an den Schützenverein für seine Versammlungen. Es handelte sich hier also nicht etwa um eine allgemein zugängliche Schankwirtschaft mit Saal usw. Hinsichtlich der bereits oben erwähnten Gesellschaftsaktivitäten vermerkt ein Protokoll für das Jahr 1874 die Theatervorstellung einer Gesellschaft Namenlos. Der Reinertrag des Abends wurde damals von der Gesellschaft Union den derzeit „Abgebrannten in Frielinghausen“ gespendet.
Die Gesellschaften und Clubs bezogen seinerzeit auch eine Menge Zeitungen und Zeitschriften. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts finden wir bei der Gesellschaft Union die Elberfelder Zeitung, Die Tribüne, den Kladderadatsch , die Gartenlaube , auch Der Humorist ist dabei wie die Leipziger Illustrierte Zeitung , Westermanns Monatshefte , die Augsburger Allgemeine Zeitung, die Berliner Volkszeitung, später in den 1870er Jahren noch Der Kriegsschauplatz. Die Zeitungen und Zeitschriften wurden nach gewissen Zeiträumen an die Mitglieder versteigert. Bei Baumeister Albert Schmidt soll es bei seinem Tod im Jahre 1932 an der Knusthöhe 16 noch tausende solcher Papiermaterialien gegeben haben. Ein Enkel des Verstorbenen, mein Vater, erzählte öfters, dass er als junger Mensch alles im Garten verbrennen musste. Damals galt Zeitungsasche wohl noch nicht als umweltgefährdend.
Im Jahre 1942 berichte eine Lokalzeitung über das erwähnte Protokollbuch der Gesellschaft Union mit Beginn des Jahres 1850. Die früheren Niederschriften des Vereins müssen wohl verloren sein, wie es auf der ersten Seite dieses Dokuments vermerkt war. Die bereits beschriebenen hier festgehaltenen gesellschaftlichen Ereignisse und Betätigungen werfen soziologisch betrachtet einiges Licht auf die Lenneper Bevölkerung im 19. Jahrhundert, auch wenn z.B. die Turnvereine, die Schützenvereine, nicht zuletzt auch die Feuerwehr und der Verschönerungsverein kaum oder gar nicht erwähnt wurden. Gesellschaften und Clubs waren eben eher etwas anderes als die „normalen“ Vereine, wenngleich es natürlich personell und hinsichtlich der Treffpunkte laufend Überschneidungen gab. So residierte beispielsweise der Lenneper Bürgerverein längere Zeit ebenfalls bei Vollmer in der Wupperstraße 1.
Im Jahre 1850 wählte die Gesellschaft Union eine Kommission, die eine neue allgemeine Satzung vorlegen sollte. Als Zweck der Gesellschaft wurde angegeben, die Geselligkeit und das Vergnügen, verbunden mit strenger Ordnung und Sitte, zu pflegen. Es konnte sich jeder „gebildete Mitbürger von unbescholtenem Ruf“ zur Aufnahme melden , doch sorgte man sehr dafür, dass „kein Unberufener“ in diesen Kreis hinein geriet, denn das Protokollbuch vermerkt auch in der Gesellschaft Union Ballotagen mit negativem Ergebnis.
Das alte Protokollbuch der Lenneper Gesellschaft Union gibt aber auch über die Namen der Mitglieder eine Menge Auskünfte über das damalige Lennep, denn es finden sich hier die Vorfahren so mancher Familie, die auch heute noch besteht bzw. bekannt ist. Auch hier zeigt sich die bereits erwähnte Abgrenzung der sozialen Schichten. Vertreter der Familie Hardt sucht man hier vergebens, auch mit ihr verbundene Amtspersonen wie die Landräte oder Lenneper Pfarrer nicht, allenfalls sind bestimmte Namen deswegen bekannt, weil sich die Firmen ihrer Träger später größer entwickelten wie im Falle der Maschinenfabrik Friedrich Haas oder der Familie Girardet, durch die in Essen u.a. die Westdeutsche Zeitung begründet wurde. Gemeinsam ist vielmehr die Herkunft der Gesellschaftsmitglieder aus handwerklichen und gewerblichen Berufen. Das Dokument benennt davon knapp 50 Namen, die hier natürlich nicht alle wiedergegeben werden können. Statt dessen seien ein paar Beispiele genannt: Hasselkus, Peipers, Hackenberg, Frowein, Grüderich, Groß, Röntgen, Lambeck, Girardet, Pitscher, Hausmann, Kluthe, Boucke, Bellingrath, Brückelmann, Kühner, Dürholt, Schmidt und Haas, Mosblech, Witscher, Johnen, Wehner, Temsfeld, Berg und Mühlinghaus. Über jede dieser Familien könnte man längere Lenneper Geschichten erzählen.
Wie vieles dem Wandel der Zeiten unterworfen ist, so änderte sich im Laufe der Jahre auch das gesellschaftliche Leben. Entscheidend dafür war insbesondere der 1.Weltkrieg. So wurde auch die Gesellschaft Union 1914 ein Opfer der neuen Verhältnisse. Und natürlich spielte in diesem speziellen Fall auch der Wegfall des angestammten Gesellschaftslokals eine Rolle, denn seit 1910 wurde auf dem Areal ein Kaufhaus mit der zugehörigen Villa des Eigners Dörrenberg erbaut. Die Geschichte dieses Gebäudes wurde in den letzten Jahren durch die Karstadt-Hertie-Entwicklung in den Zeitungen mehrfach beschrieben. Was den Lennepern hier die Zukunft bringt, wir werden es sehen.