Eigentlich hatte ich meinen Archivschrank gerade geschlossen, weil schon der nächste Beitrag für Mitte Januar fertig war und ich nun wieder notwendige Sortierarbeiten vorhatte, aber die gegenwärtige Diskussion um die historische Belastung des Bodens beim Lenneper Stadion gibt doch ein gute Gelegenheit, hier auch etwas Allgemeinverständliches aus der Geschichte beizutragen. In der Zeitung hieß es, beim Prüfen der Akten habe man festgestellt, dass das Stadion in den 1920er Jahren auf einem Gelände errichtet wurde, auf dem zuvor nicht nur eine Hausmülldeponie, sondern auch eine Fabrik war. Daraufhin habe die Stadt ein Bodengutachten in Auftrag gegeben.
Ein gewisser „Fritz aus dem Wieschen“, der seinen wirklichen Namen immer offiziell geheim hielt, obwohl in Lennep bald jeder wusste, dass er der Hauptschriftleiter des Kreisblatts war, veröffentlichte im Jahre 1955 über das Lenneper Druckhaus Adolf Mann, Nachfl. ein kleines Heftchen mit dem Titel Dies und Das – Von der guten alten Zeit bis zur Gegenwart, worin er humorvoll Lenneper Anekdoten und Berichte wiedergab, von früheren Begebenheiten und überhaupt, wie es früher war. Dabei schilderte er auch, wie es 1926 zu seinem Pseudonym kam, unter dem er seinerzeit im Kreisblatt seine Geschichtchen zum ersten Mal, meistens in der Wochenendausgabe, veröffentlichte. Natürlich wollte man zuerst wissen, wer der eigentliche Autor war, und als man es dann wusste, wollte man wissen, wie es zu diesem Pseudonym kam, was es wohl zu bedeuten hätte. Es gab zu dieser Zeit in Lennep wohl noch mehr Wiesen und Wieschen als heute, und der Autor, der im Jahre 1891 noch nicht vierzehnjährig aus Elberfeld in die Kreisstadt in die Lehre gekommen war, konnte sich noch erinnern, dass um die Jahrhundertwende der Stadtbote mit der großen Schelle darauf hinwies, dass das Betreten der Lenneper Wiesen bei Strafe verboten war.
Aber es gab auch ein spezielles Wieschen in Lennep, ein Areal, das von den Lennepern speziell Wieschen genannt wurde. Fritz aus dem Wieschen beschreibt das so: Das Lenneper Stadion war ehemals eine Wiese, und die wenigen daran liegenden Häuschen, jetzt Ecke Franz-Heinrich-Straße, hatten die Bezeichnung „Im Wieschen“. So erhielt Fritz aus dem Wieschen seinen Namen.
Im Remscheider Stadtarchiv lagern seit vielen Jahren die Aufzeichnungen des Lenneper Heimatforschers Kapitän a.D. Paul Windgassen, der nach seiner Entlassung aus der Handelsmarine zeitweilig auch Hilfsarchivar für Lennep war. Seine umfangreichen Aufzeichnungen zu Lennep fußen z.T. auf weiteren Lenneper Quellen, z.B. auf denen von Albert Schmidt, der zusammen mit dem Vater Windgassens Gründer mehrerer Lenneper Vereine war, und dessen Erinnerungen weit in das 19. Jahrhundert zurückgingen. Paul Windgassen formulierte zu unserem Thema um 1935: Wo heute das Stadion steht, war früher am Lenneper Bach ein Fabrikbetrieb, „im Wieschen“ genannt. Er verweist dabei auf die Lenneper Familien Hasselkus und Grüderich, die Jahrzehnte lang dort gewohnt hätten. Später betrieb nach seinen Recherchen die Firma Fritz Zimmermann im Wieschen eine Gerberei, noch später wurden dort die Firma Gebr. Werner Werkzeuge hergestellt. Es heißt dann bei Windgassen weiter: „Im Jahre 1894 ist dann der Schlosser und Maschinenfabrikant Gustav Sieper als letzter Besitzer dort eingegangen. Dazu kam später die Schreinerei von Schmidt und Röhrig. Inzwischen war der Bau des Stadions beschlossen worden und die Kippe näherte sich immer mehr dem Gebäude. Auf dem aufgeschütteten Gelände hielten die Franzosen während der Besatzungszeit ihre Reitübungen statt. Im Jahre 1924 mussten dann die alten Gebäulichkeiten der Kampfbahn Platz machen, sie wurden niedergelegt. Schon im Jahre 1925 konnte unser schönes Stadion, um das uns viele Städte wegen der seiner Lage in der Nähe der Stadt beneiden, seiner Bestimmung übergeben werden.“
Das von Paul Windgassen beschriebene Areal ist zeitgenössisch, genauer: zwischen etwa 1895 und 1925 auf mehreren Lenneper Postkarten zu sehen. Zum Beispiel eröffnete ein Foto aus Richtung des Talsperrenwegs ein weites Panorama, das die Rospattstraße und das Stadion umfasste und darüber hinweg die Lenneper Altstadt in den Blick nahm. Allerdings sind zumeist aus dieser Entfernung keine Einzelheiten im Bereich der Franz-Heinrich-Straße zu sehen, die das heutige Areal des Kaufparks an der Wupperstraße in Richtung Ringstraße abschließt. Es gibt aber auch Bildbeispiele, bei denen der Bereich des Wieschens sehr gut auszumachen ist, mehr noch, auf einer sog. Totalansicht kurz vor dem 1. Weltkrieg sieht man bei entsprechender Vergrößerung nicht nur das Wieschen selber, sondern sehr genau auch die angehäufte und planierte Müllkippe, die das Wieschen zur Altstadt und gekrümmten Wupperstraße hin umgab. Lennepe abwärts fiel sie ab und harrte des Nachschubs. Auch der Vorläufer der späteren Straße Am Stadion ist erkennbar.
Schwieriger allerdings sind die damaligen Straßenzuweisungen für uns heute zu verstehen. Die Wupperstraße entstand ja bekanntlich im Zusammenhang des Eisenbahnbaus schon vor 1870, auch wenn die charakteristischen Linden dort erst viel später angepflanzt wurden, und im Adressbuch von 1903 ist außer der Villa Schröder unter der Nummer 10 auch die Firma Wender & Dürholt an der Nummer 16 vermerkt, solange es aber die Franz-Heinrich-Straße nicht gab, zählten augenscheinlich alle Gebäude im dortigen Gesamtareal zur Wupperstraße, sofern sie nicht explizit zur Rospattstraße gehörten. In der Wupperstraße 11 direkt am Beginn der Leverkuser Straße oder Kindsgasse, wie man damals sagte, residierte nun die Firnis- und Lackfabrik Grüderich, die jedoch ihre Produktionsstätten im Wieschen hatte, hinter der Franz-Heinrich-Straße auf dem späteren Areal von Marmor Florath. Und natürlich direkt auch an der späteren Straße Am Stadion. Genau dort sieht man auf einer historischen Postkarte die Wäsche am Wegezaun hängen. Der Name Grüderich war ja von Paul Windgassen für dort schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts nachgewiesen und viele Lenneper haben noch heute eine Vorstellung, wo die Lackfabrik lag. Es existieren sogar noch Fotos aus der direkten Nachkriegszeit, auf denen das Schmelz- und Sudhaus, das Tanklager und die Fabrikation der Firma zu sehen sind. Die Familie Grüderich gehörte auch in den Umkreis der Dürholts, Haas, Lisners, Schmidts und Wenders in Lennep, einige von Ihnen residierten ja mit Firma und Wohnhaus in unmittelbare Nähe, und es gibt eine Anekdote, dass der Firmenchef immer auf Tag und Stunde genau auf Werbereise zum Bahnhof schritt und zurückkam, wegen seiner rosa Gesichtsfarbe nannte man ihn das „Röschen“. Der Namensgeber der Franz-Heinrich-Straße war übrigens Herr Franz Heinrich Müller, ein königlicher Lotterieeinnehmer, er wohnte am Thüringsberg 8, jedoch war er auch Teilhaber bei E. & W. Grüderich und war also Fabrikant. Übrigens war er auch einer der drei Lenneper Stadtverordneten, die anlässlich des Todes des aus Lennep stammenden Großkaufmanns Richard von Hardt zu dessen Beerdigung nach Posen entsandt wurden.