Lenneper Schulleben im 19. Jahrhundert

08 Juli 2019 , Verfasst in Aus dem alten Lennep 

Für uns Heutige erscheint es oft schwierig, sich in das Schulleben vergangener Zeiten zurück zu versetzen. Im Vergleich zu früher hat sich so manches verändert: die Schulen als Gebäude, die Bildungsideale, die Erziehungsmethoden, die Lehrerausbildung, die Lehrmaterialen und natürlich die Menschen in unserer Welt überhaupt. Darum ist es vielleicht sinnvoll, einmal ein paar historische Zeugnisse kennen zu lernen, die uns die vergangene Zeit, hier insbesondere das 19. Jahrhundert, näher bringen, und dies natürlich am Beispiel unserer Heimatstadt Remscheid-Lennep. Mehrfach hat z.B. der Lenneper Baumeister Albert Schmidt (1841-1932), der ja in Lennep mehrere Schulen erbaute, auch über seine eigene Lenneper Kinder- und Schulzeit berichtet.

Albert Schmidt über seine Schulzeit 1846 -1856

„Seit 1846 hatte ich die Schule besucht und zwar zuerst bei dem Unterlehrer Pfaffenbach, der die kleinsten Kinder der Ungewitterschen Schule zu unterrichten hatte. Diese unterste Klasse der evangelischen Volksschule war in dem katholischen Schulgebäude in der Mühlenstraße untergebracht worden, da die evangelische Schule überfüllt war. Der Schulbesuch war mir übrigens nach kurzer Zeit schon lästig geworden, und verschiedentlich hatte ich mit dem erfolgreichsten Erziehungsmittel der damaligen Schulen, dem Stock, Bekanntschaft gemacht, so dass ich eines Tages den kühnen Gedanken fasste, zur goldenen Freiheit zurückzukehren. Eines Morgens ging ich anstatt zur Schule hinauf zum Schützenfeld nahe der Knusthöhe, um die Natur, die schöne Fernsicht und die volle Ungebundenheit zu genießen. Aber es war nicht lange ein Genuss, ich erkannte bald, dass dieser Freiheitsausflug für mich bedenkliche Folgen haben musste. Der Lehrer hatte sich auch schon mit meiner Mutter verständigt, von beiden Seiten erfolgte die nötige Prügelstrafe, der sich bei meiner strengen Mutter noch die beliebte Kellereinsperrung anschloss, bis mich mein Vater befreite. Die Geschichte war wohl für mich sehr lehrreich gewesen, da ich mich nie wieder zu ähnlichen Streichen entschließen konnte. Selbst bei meinem Besuch der Baugewerkschule zu Holzminden, auf der man glaubte, gewisse studentische Gepflogenheiten nachmachen zu müssen, habe ich niemals das Bummeln mitgemacht.“

Abb. 1 Abb. 2

Wie durch den Lehrer wurde Albert Schmidt (1841-1932) nach seinen Streichen öfters von seiner Mutter mit Prügeln bestraft und zusätzlich noch in den Keller gesperrt, aus dem ihn der Vater abends dann wieder befreite. Die Erziehungsmethoden waren seinerzeit aus unserer heutigen Sicht nicht nur streng, sondern auch pädagogisch zweifelhaft. Das linke Bild zeigt Albert Schmidts Mutter (1817-1904). Auf dem rechten Foto sieht man den Baumeister mit seiner Ehefrau Maria, geb. Haas, im Rosengarten an der Lenneper Knusthöhe

„Die damaligen Schulen können mit den heutigen gar nicht verglichen werden, sie waren überfüllt, von  Anschauungsunterricht war keine Rede, und die Lehrer erhielten so wenig festes Gehalt, dass sie sich durch Privatstunden und Zuwendungen der Schüler bei festlichen Gelegenheiten und ihren Geburtstagen erhalten mussten. Es war selbstverständlich, dass die Kinder der reichsten elterlichen Spender vom Lehrer bevorzugt wurden. Das Privatstundenwesen war ein Unfug und ohne Nutzen für den Schüler, da der Lehrer meist weder Zeit noch Lust hatte, sich um die Menge der Privatschüler gleichzeitig zu bekümmern. Um den Herrn Ungewitter für die Kinder zu interessieren, lud ihn meine Mutter jeden Mittwochnachmittag zum Kaffee auf die Knusthöhe ein. Es wurde dann seine Lieblingsspeise, ein sogenannter Napfkuchen gebacken, und wir Kinder sahen neidvoll zu, wie derselbe von dem Herrn Lehrer vertilgt wurde; für uns blieb meistens nur ein schäbiger Rest übrig.“

„Ich blieb zwei Jahre auf der Ungewitterschen Schule, weil meine Eltern glaubten, er wäre ein besserer Lehrer als der Lehrer Gemmer, der die zweite Schulklasse besorgte. Ich wurde dann zum Lehrer Kötter versetzt und konnte dort so gut fertig werden, dass ich in kurzer Zeit zum ersten Ordner avancierte. Herr Kötter machte sich die Arbeit bequem, indem er die meisten Arbeiten seinen Schülerordnern überließ, die in jeder Bank den ersten Platz innehatten. Wenn er in die Schule trat, instruierte er die 12 Ordner, ging dann auf sein Podium, schlug den Pultdeckel auf und frühstückte hinter demselben, er hatte im Pult immer Kognak und dergleichen vorrätig. Er verstand es meisterhaft, Geschäfte zu machen, nicht allein an Geburts- und Festtagen, an denen er die Schüler auf ihre Verpflichtungen ihm gegenüber gebührend aufmerksam machte, sondern auch bei besonderen Gelegenheiten.“

Die zerbrochene Scheibe

„Ich hatte einmal Birnen mit in die Schule gebracht und wurde von meinen Mitschülern bedrängt, ihnen etwas abzugeben. Da ich mich des Andrangs der Mitschüler nicht erwehren konnte, warf ich eine Birne zum Fenster hinaus. Aber der Wind war mir ungünstig, indem er gerade in dem Augenblick den Fensterflügel zuwarf, als meine Birne den Flug nach Außen machte; infolgedessen flog die mit großer Kraft geworfene Birne durch die Fensterscheibe, und es entstand ein Loch, welches die Birnenform hatte, umgeben von Rissen nach allen Richtungen hin. In diesem Augenblick trat Kötter in das Schulzimmer und hatte gleich die Gelegenheit, ein Geschäft zu machen, erkannt. Er sagte mir, die Scheibe muss von mir bezahlt werden, dann sagte er zu allen Schülern: Ihr könnt alle etwas mitbringen, damit die Kosten für den einen nicht zu groß werden. Am andern Morgen mussten die 12 Ordner die mitgebrachten Gelder einsammeln und ihm ans Pult bringen. Die wohlhabenden Eltern hatten meistens so viel gegeben, dass von jeder Spende eine Fensterscheibe bezahlt werden konnte. Es kam ein großer  Haufen Geld zusammen, die Fensterscheibe wurde bezahlt, und der Herr Lehrer hat ein gutes Geschäft gemacht.“

„Privatstunden im Zeichnen nahm ich beim Lehrer Gemmer, der dann gleichzeitig in einem anderen Hause Klavierstunden gab und uns nach Belieben schalten und walten ließ. Ich hatte eine gewisse Fertigkeit im Zeichnen von Karikaturen und malte dann meistens sein Töchterchen Mimi, die über die Bänke hinlief, in allen möglichen Situationen. Herr Kötter hatte meine Fertigkeit im Zeichnen bald erkannt und paradierte in den öffentlichen Prüfungen, bei Schulschluss oder wenn der Herr Schulinspektor kam, damit, dass ich die Landkarte von Europa mit allen Details, Inseln, Buchten und Hauptabflüssen ohne jede Vorlage, nur aus dem Gedächtnis heraus, auf die Wandtafeln malen könnte.“

Abb. 3 Abb. 4

Immer wieder, z.B. auch 1849 während der Cholera, spielte die heute nicht mehr existente alte katholische Volksschule am späteren Jahnplatz eine gewichtige Rolle in der Lenneper Schulgeschichte. Als sie zu klein wurde, baute man daneben größer und moderner. Alles dies ist vergangen. Wichtig war auch das schräg gegenüber liegende Gebäude der hier von 1873-1916 untergebrachten Höheren Töchterschule an der Ecke Hardt- und Mühlenstraße. Ursprünglich eine Fabrikantenvilla der Lenneper Familie Karsch, wurde diese später der Stadt Lennep von der Firma Johann Wülfing & Sohn der Familien Hardt zur Verfügung gestellt, diente verschiedenen sozialen Zwecken und ist heute Sitz des Ortsvereins Lennep des Deutschen Roten Kreuzes.    

 Von der Elementarschule zur Bürgerschule

„Von Kötter kam ich mit 9 Jahren direkt zur Bürgerschule, die obere Klasse der Elementarschule beim Lehrer Fuchs wurde übersprungen, da ich in der Prüfung für fähig befunden wurde. In der Bürgerschule habe ich von 1850 bis 1856 die 4 Klassen durchgemacht und im letzten Vierteljahr noch die neu gebildete Sekunda besucht. Für Sprachen hatte ich wenig Befähigung, welches wohl zum Teil davon her rührte, dass ich etwas stotterte. Ich konnte verschiedene Buchstaben wie F und K, besonders am Anfang eines Satzes, nicht gut aussprechen. Unsere Lehrer konnten das nicht begreifen, sie gaben sich keine Mühe, den Sprachfehler zu beseitigen und glaubten, wenn ich einen französischen oder englischen Satz nicht aussprechen konnte, ich hätte nichts gelernt und gaben mir dann Strafarbeiten auf. In Geschichte, Geographie, Rechnen und Mathematik gehörte ich zu den besten Schülern, weshalb ich auch das Examen gut bestehen konnte und sogar mit sechs anderen Schülern aus der dritten Klasse der höheren Bürgerschule gleich in die erste versetzt wurde. Meine Befähigung im Skizzieren und Karikaturen zeichnen hatte mich einmal verleitet, unsern sehr korpulenten, aber sonst äußerst beliebten Lehrer Meunier an die Wandtafel zu malen. Er überraschte mich dabei und stellte die Frage, was das für ein Portrait sei. Ich behauptete, es sei der Wirt Alberty in Remscheid, den ich kannte und der sehr viel Ähnlichkeit mit Meunier hatte. Er sagte, du bist ein Schlingel, verabreichte mir 6 Kopfnüsse mit einem Schlüssel und gab mir zur Strafe auf, ihm bis zu einem bestimmten Termin 12 Blätter mit ähnlichen Bildern zu malen. Ich führte dieselben aus, es waren 12 Variationen eines Themas, natürlich Karikaturen, aber alle fein schattiert ausgeführt. Er steckte sie bei der Ablieferung schmunzelnd in die Tasche und hat es mir nicht verübelt, im Gegenteil hat er mich immer gut behandelt.“

Die Lenneper Bürgerschule Mitte des 19. Jahrhunderts

„Die höhere Bürgerschule war damals nicht gut geleitet und hatte Jahre hindurch verschiedene Lehrer, die ihrer Aufgabe nicht gewachsen waren, und welche nicht im Stande waren, sich die notwendige Autorität den Schülern gegenüber zu verschaffen. Infolgedessen verwilderte die Schule, es geschahen die tollsten dummen Jugendstreiche, weil die Schwächen des Lehrers erkannt und ausgenutzt wurden. Einer der Lehrer lernte noch selbst Englisch und lief immer in der Schulstube auf und ab und memorierte seine englische Grammatik. Die Jungen führten dann natürlich alle möglichen Streiche auf, ohne dass der Lehrer davon Notiz nahm. In den oberen Klassen wurde der Lehrer sogar von den älteren Schülern verprügelt. Er sah dann aber selbst ein, dass sein Hierbleiben unmöglich sei und verließ seine hiesige Stellung. Im Kreisblatt erklärte er öffentlich, dass er „bei diesen Lümmels“ nicht weiter unterrichten konnte und nahm Abschied von Lennep. Das Schulkuratorium sah nun aber doch ein, dass Wandel geschaffen werden musste. Der Lehrer Carl Hürxtal aus Radevormwald wurde nun zum Ersatz gewählt und trat eines morgens in die Schulklassen ein, mit einer kurzen Rede, in welcher er das bisherige lümmelhafte Benehmen der Schüler kennzeichnete und dann mit Stentorstimmer rief, bei ihm ginge das jetzt anders, er würde schon mit ihnen fertig werden. Ein Schüler stützte dann seinen Kopf in die Hand  und zeigte eine Miene, als wenn er mit der Rede nicht einverstanden sei. Hürxtal stürzte sich auf ihn, stieß seinen Arm so häufig  auf das Pult, dass der Junge halb ohnmächtig wurde, dann riss er ihn aus der Bank und warf ihn zur Türe hinaus. Sodann drehte er sich herum und frug: „Sonst noch jemand?“ Aber es war mäuschenstill und blieb so. Da Hürxtal seinen Schulantritt in allen Klassen in ähnlicher Weise vollzog, hatte er Ruhe, und  es konnte seit dieser Zeit ein anderer Geist in die Schule einziehen.“

Schulabgang von der Sekunda

„Ostern 1856 wurde dann die Schule vollständig umgewandelt, aus den vier Klassen wurden jetzt fünf Klassen von Sekunda bis Sexta gebildet unter dem Rektorat eines sehr tüchtigen Mannes, Dr. Friedrich Eiselen. Ich wurde in die Sekunda versetzt, ging aber schon Pfingsten ab, da mein Vater glaubte, es würde nun Zeit für mich sein, Berufsstudien zu ergreifen. Er konnte damals noch nicht wissen, dass er aufgrund eines früheren Bauunfalles recht frühzeitig sterben würde, aber unsere Verhältnisse gestatteten es generell nicht, meine Schulstudien bis zum Einjährigen-Examen und Abitur auszudehnen. Mein Vater hatte in seiner Jugend selbst kein Examen gemacht und war wegen der Gewerbeordnung nicht berechtigt, ein Baugeschäft allein und selbständig zu führen. Er musste also fortwährend einen Meister bzw. eine Person beschäftigen, die bereits vor 1830 selbständig gewesen war. Da dieser Zustand kein angenehmer war, so sollte meine Ausbildung zum Baugewerkmeister so beschleunigt werden, dass ich mit 21 Jahren schon das Examen machen konnte, anstatt das gesetzliche Alter von 25 Jahren abzuwarten, was dann auch gelungen ist, da durch einen Stadtratsbeschluss genehmigt wurde, mich zum Maurer- und Zimmermeister-Examen im Jahre 1863 zuzulassen. Ich kam deshalb nach dem Schulabgang sofort in die praktische Lehre bei Kreisbaumeister Wilhelm Laur an den Neubau der Tuchfabrik Wilhelmstal.“

Abb. 5 Abb. 6

In den Schilderungen Albert Schmidts wird u.a. Dr. Friedrich Eiselen, der Rektor der Höheren Bürgerschule 1855-1862, erwähnt. Rechts das Lehrerkollegium um 1875, u.a. mit dem ebenfalls erwähnten Lehrer Carl Meunier.1869 war die Höhere Bürgerschule von der ehemaligen Kunstgasse an der Schwelmerstraße in das neue Gebäude in der Hardtstraße umgezogen, die sich aus einem schmalen Gartenweg entwickelt hatte.

Schule und Gesundheit

Die Erinnerungen Albert Schmidts an das Schulwesen im 19. Jahrhundert wurden, und dies nicht unbedingt unter dem Beifall der Schulbehörde, auch im Rahmen einer Serie von  Berichten „Aus dem alten Lennep“ im Kreisblatt von 1922/23 weiter gepflegt, wobei immer wieder die Nähe der alten katholischen Schule zum Abwässerbereich der Stadt thematisiert wird. Es heißt dort z.B: Der Schulunterricht begann mit dem fünften Lebensjahre in einem Raum der katholischen Schule, der unmittelbar an dem Abwässerteich der sog. Drahtmühle an dem späteren Jahnplatz lag. Dieser war von Erdkuhlen umgeben, in denen sich die Abwässer der Stadt zu einem dicken Brei vereinigten, um von hier den unterhalb liegenden Wiesen als Dünger zugeführt zu werden. Alles was an sterblichen Überresten der Hunde und Katzen nicht untergebracht werden konnte, wurde diesen Erdkuhlen anvertraut, unbeschadet der pestilenzartigen Ausdünstungen, die die ganze Nachbarschaft belästigten. Hygienische Vorschriften gab es damals noch nicht, und sie waren am Ende sogar überflüssig, denn in den umliegenden Häusern, so hieß es, erfreuten sich selbst die ältesten Leute eines gesunden Daseins. Eine Belustigung der Schuljugend bestand darin, in den Holzrinnen, die, nach oben offen, die Abwässer zu den Erdkuhlen leiteten, im Hochsommer eine glitschige Rutschbahn anzulegen. Die Jugend war damals wohl noch anspruchsloser.

Lehrergeburtstage

Oft erinnerte man sich noch der bis in die 1860er Jahre gebräuchlichen Sitte bzw. Unsitte beim Lehrergeburtstag und der Empfangnahme der zahlreich eingehenden Geschenke, die nach der Besichtigung in einem Dank endete, der bei einem der Lehrer stets so lautete: ¨Diejenigen, die mir etwas mitgebracht haben, die grüßen ihre Eltern!“ Die Schulräume wurden an diesen Festtagen mit Kränzen geschmückt und der anrückende Lehrer mit Zündhütchengeknalle empfangen. Vereinzelt wurden die Geschenke, insbesondere, wenn es sich um Backwerk handelte, auch direkt zur Wohnung des Lehrers gebracht. Nach der Erinnerung eines früheren Schülers sollten eines Tages zwei Lenneper Schüler ihrem Lehrer eine „Rodonkuchen“ überbringen, der mit vielen Rosinen verziert, in einem ansprechenden Körbchen verstaut war. Nach einer eingehenden Inspektion auf dem Wege zum Hause des Lehrers waren allerdings die schmackhaften Rosinen am äußeren Kuchen verschwunden. Der Lehrer brachte es dabei noch zu einem kleinen Nachspiel, indem er den Vater bei einem Zusammentreffen bat, doch nächstens ein solches Geschenk durch das Dienstmädchen bringen zu lassen, da diesmal der Kuchen nicht in seinem Naturzustand bei ihm angelangt sei. Der Erfolg war daraufhin, so heißt es, bei den Überbringern ein durchschlagender.

Geographieunterricht

Im Übrigen hatte gerade der in Frage stehende Lehrer eine wunderbare Methode, seinen Schülern Geographie beizubringen. Er ließ z.B. die Knaben die Flüsse Europas anhand der großen Landkarte so lange hersagen, bis alle sie am Schnürchen auswendig konnten. Diese Kenntnis verhalf einem seiner ehemaligen Schüler zur Erreichung des Einjährig-Freiwilligen-Zeugnisses bei der Düsseldorfer Regierung. Der junge Mann wurde von seinem Examinator gefragt: Können Sie mir einige Flüsse Europas nennen? In diesem Moment erinnerte sich der Gefragte an das in der Lenneper Elementarschule Erlernte und sagte es ohne zu Zögern auf. Der Examinator wandte sich daraufhin staunend an den Gefragten und rief aus: „Welche unheimlichen Kenntnisse!“ Und er ließ ihn von allen weiteren Fragen unberührt.

Herr Lehrer, Büchelchen lesen

Wenn erwähnter Lehrer einmal vorzüglicher Laune war, so pflegte er an die Klasse die schon erwartete Frage zu stellen: „Was wollen wir nun einmal beginnen?“ Darauf erfolgte die Antwort der Schüler: „Herr Lehrer, Büchelchen lesen!“ Der erste Ordner sprang hinzu und musste den an der Wand stehenden Schrank öffnen, holte daraus die bereits vergilbten „Büchelchen“ heraus und verteilte sie unter den erwartungsvoll harrenden Jungen. Die Büchelchen enthielten kleine Abhandlungen über einheimische Tiere. „Die Biene“ lautete die Überschrift des ersten Artikels, der mit dem Liedchen begann, das sofort unter der Violinbegleitung es Lehrers angestimmt wurde: „Willst` ein feines Liedchen hören, höre nur die Biene an, wie sie wacker summen kann, Fleiß und Kunst treibt jedermann“, usw. Nach der Biene kam der Wunsch von einigen Eingeweihten zum Ausdruck: „Herr Lehrer, die Kohlmeise!“ Die erste Strophe der entsprechenden Abhandlung schloss mit einem Reimwort, das in der Verwechslung mit einem anderen mit einem höchst unästhetischen, hier nicht wiederzugebenden, Ausdruck schloss. Die Verwechslung ergab sodann ein gründliches Durchprügeln des betreffenden Schülers. Die gute Laune des Lehrers war dann verloren und auch die Klasse war jetzt froh, wenn der Schulschluss eingeläutet wurde.

Die Pickheuer

Einer der Lehrer hatte auch ein unheimlich feines Gehör, aber nicht für Musik, sondern für das Geräusch, das durch das Aneinanderstoßen der Pickheuer oder Knicker in den Taschen seiner Schüler verursacht wurde. Wie eine Spinne ihre Opfer, so holte er sich den Schüler heraus und entleerte dessen Taschen von den Pickheuern und schleppte diese mit nach Hause. Hier trieb er einen schwunghaften Handel mit diesem Spielzeug, behandelte aber seine Kunden insofern großzügig, als er für einen Groschen sieben Stück abgab, während man sonst nur sechs und im Laden sogar nur vier dafür bekam. Wir wollen dies heute seiner Sparsamkeit zugutehalten, die bei dem damaligen sehr geringen Gehalt aller Lehrer gewiss angebracht war.

Abb. 7 Abb. 8

 Oft ist heute vergessen, dass es im Lennep des 19. Jahrhunderts auch spezielle Mädchenschulen gab. Auf dem linken Foto sieht man die Höhere Private Töchterschule am Lenneper Gänsemarkt 7. Sie war hier zwischen 1856 und 1865 untergebracht, später dann ein Stück weiter im Anwesen Nr. 30 in der Nähe des späteren Röntgenmuseums. Das Foto rechts betrifft die Höhere Töchterschule im Jahre 1875 mit Rektor Dr. Fischer und Lehrkraft Magdalena Reichel. Anders als in der Elementarschule entstammten die Mädchen hier fast ausschließlich bürgerlichen bzw. wohlhabenden Familien, z.B. Kühner, Steinhaus, Lambeck, Böse, Lausberg, Ringel, Weskott, Christians, Hager und Leysieffer.

Noch einmal Lenneper Schulleben im 19. Jahrhundert

Die Erinnerungen an die Schulzeit, aufgeschrieben im vorgerückten Alter, fallen naturgemäß gemischt aus. Im Jahre 1930, als das Lenneper Kreisblatt seinen einhundertsten Geburtstag feierte, gab dort auch Heinrich Neuhaus, Seilereibesitzer an der Schwelmer Straße und geboren im Jahre 1860, seine Erinnerungen an das alte Lennep zum besten und schrieb: „Als ich mit fünf Jahren zur Schule kam, da waren an der katholischen Schule Herr Hauptlehrer Dübbers, Fräulein Elisabeth Kösters und Herr Lehrer Tacke tätig. Letzterer hatte den Beinamen „Knipp Tacke“, da er die Schüler zur Bestrafung sehr fest in die Haut und Ohren kniff. Das Schlagen der Schüler war bei ihm weniger möglich, da manche Schulbank zehn bis zwölf Kinder hatte und etwa hundert Kinder in einer Klasse saßen. Wir Jungens waren immer froh, wenn der 19. November herankam. An diesem Tage hatte Fräulein Kösters ihren Namenstag, und dann wurde Visite in der Schule gehalten. Beim Kuchen und Kaffee gingen wir Jungen allerdings stets leer aus. Während des Krieges 1870/71 musste unser späterer Hauptlehrer, Herr Akens, zum Militär. Der damalige Pfarrer Scholl wie auch der Hilfslehrer Adolf Fürth und später auch ein Lehrer Hanneke erteilten Unterricht. Letzterer hatte als Erziehungsmittel einen Weinrebenstock. Wenn der auf das Hinterquartier sauste, so vergaß man dies so bald nicht. Vor den Weihnachtsferien mussten die Kinder, soweit sie schon schreiben konnten, Neujahrsbriefe für die Eltern anfertigen, immerhin, als Belohnung gab es dann vielleicht etwas für die Sparbüchse.“

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