Schon bald steht ja bei uns in Lennep die Wiedereröffnung von Röntgens Geburtshaus an. Bei der Durchsicht meiner Unterlagen, so könnte man dies in Abwandlung historischer Vorbilder nennen, stieß ich dieser Tage wieder einmal auf einen alten Zeitungsartikel mit der Überschrift „W.C. Röntgen, der Sohn Lenneps“. Der Artikel, der deutlich die Handschrift des Lenneper Heimatforschers Paul Windgassen zeigt, war im Jahre 1938 an mehreren Orten erschienen, und zwar zum Gedenken an Röntgens 15. Todestag am 10. Februar 1923. Teile dieses Beitrags geben wir hier noch einmal wieder, ganz unbeschadet weiterer oder neuerer Erkenntnisse, denn der Artikel gibt in relativer Kürze sehr gut auch uns Heutigen zur Kenntnis, was die Lenneper damals bewegte und wie man damals dachte.
In dem Artikel heißt es:
„Vor 15 Jahren, am 10. Februar, ging einer der größten Deutschen von uns: Wilhelm Conrad Röntgen. Nicht nur die deutsche Wissenschaft, sondern die ganze Welt betrauerte diesen Mann, einen der größten Wohltäter der Menschheit, dessen geniale Entdeckung während des Krieges allein Tausenden, ob Freund oder Feind, das Leben gerettet hat.
Das ist das Besondere bei Röntgen gewesen, dass er, der durch einen glücklichen Zufall die weltbewegenden Strahlen entdeckte, sofort die Bedeutung dieser Entdeckung in ihrem vollen Umfang erkannte. Gleich nach der Entdeckung hat das Genie die ganzen Entwicklungsmöglichkeiten der X-Strahlen in seinen vier grundlegenden Arbeiten ganz klar und in mustergültiger Kürze vorausgesagt. Und trotzdem hat der Gelehrte nicht im Geringsten daran gedacht, die Strahlen irgendwie geschäftlich für sich auszuwerten. „Was ich entdeckt habe, gehört der Allgemeinheit“, das waren seine Worte, die seine große Bescheidenheit ausdrückten. Ihm waren der Name und das Verdienen nichts, die Arbeit bedeute ihm Alles. So bleibt er der vorbildliche deutsche Forscher und Gelehrte; uns aber hat er bewiesen, dass er seiner bergischen Wesensart die Treue gehalten hat.
Röntgen blieb immer der bergische Mensch. Als die Eltern, die während der ersten Jugendjahre in Lennep Tuchhandel betrieben, den Jungen später von Apeldoorn aus auf das Gymnasium von Utrecht schickten, bekam der Sohn eines Tages einen „Blauen Brief“ mit nach Hause: wegen eines Schülerstreichs musste er die Anstalt verlassen. Ein Muttersöhnchen war der junge bergische Dickkopf nicht, ein Taugenichts war er auch nicht, deshalb spricht alles nur dafür, dass er die Schuld seiner Klassenkameraden auf sich genommen hat, um nur nicht als Verräter dazustehen.
Röntgen ist nie ein Mann der „Gesellschaft“ geworden. Er pflegte zwar in seinem Hause eine gastfrohe Gesellschaft und konnte sogar ein sehr freundlicher Unterhalter sein. Den Gesellschaftsklüngel, die gemachte Vornehmheit, lehnte er aber entschieden ab, da konnte sich der Sohn des Bergischen Landes nicht wohl fühlen. So lehnte er auch, als ihm der Verdienstorden der bayrischen Krone verliehen wurde, das Immatrikulationsgesuch ab und verzichtete damit auf die Ausübung des Adelsrechtes. Röntgen war lieber für sich allein: in der Natur, draußen im Wald, da fühlte er sich am glücklichsten.
Mit seiner Vaterstadt Lennep fühlte sich Röntgen immer verbunden, obwohl ihn eigentliche Erinnerungen kaum mit ihr verbanden. Unter einem bescheidenen Dach war er hier am Gänsemarkt geboren, ebenso bescheiden blieb der spätere große Gelehrte, dem der Vater von dem Geburtshause ein Modell angefertigt hatte. Der Briefwechsel Röntgens mit seiner Vaterstadt ist noch erhalten geblieben; er ist mit das einzige, was wir an Handschriftlichem von dem Mann besitzen, denn nach dem Testamentsbeschluss mussten alle Briefe in der Familie vernichtet werden. Als damals die Zeitungen von der großen Entdeckung berichteten und meldeten, das Röntgen Lenneper sei, fragte der damalige Bürgermeister Sauerbronn unterm 27. Februar 1896 bei Professor Röntgen an, ob die Eintragungen im Geburtsregister 1845 „Conrad Wilhelm Röntgen, geboren am 27. März 1845, Sohn von Friedrich Conrad Röntgen und Charlotte Constanze geb. Frowein, seinen Geburtsfall betreffe“. Der Antwortbrief von Röntgen aus Sorrent ist noch vorhanden, in dem er die Richtigkeit bestätigt. Danach konnte man dem größten Sohne keine würdigere Ehrung aussprechen als die Ernennung zum Ehrenbürger. Diese Ehrung durch die Stadt Lennep nahm Röntgen mit „wärmstem Dank“ an, die Abordnung der Gemeindevertretung empfing er im Juni 1896 in Würzburg sehr freundlich und herzlich.
Als dann im April-Mai 1905 in Berlin die erste Jubelfeier der Röntgenstrahlen abgehalten wurde, zu der Röntgen selbst nicht einmal erschien, sandte die Stadt Lennep Glückwunschtelegramme, für die er „verbindlichst“ in treuer und dankbarer Anhänglichkeit an seine Vaterstadt dankte. Auch in seinem Alter fühlte sich Röntgen noch mit seiner Vaterstadt verbunden. Am 9. Mai 1920 schreibt er an den Bürgermeister: „Mit banger Sorge habe ich die Zeitungsnachrichten verfolgt, die mir jetzt über die schwere Not der rheinisch-bergischen Gegend zukamen; da der Name meiner lieben Vaterstadt darin nicht besonders erwähnt wurde, habe ich die Hoffnung, dass sie vor dem schlimmsten bewahrt worden ist. Mögen sich für alle in Deutschland die Verhältnisse in nicht allzu ferner Zeit so gestalten, dass wir wieder mit einiger Zuversicht in die Zukunft sehen dürfen, und dass ein jeder den Wert jeglicher nützlicher Arbeit behütet.“ Als die Trauerkunde 1923 nach Lennep kam, gedachte die Stadt Lennep ihres Ehrenbürgers mit einem Nachruf, in dem es heißt: „Die Stadt Lennep wird den großen Forscher und stets hilfsbereiten Bürger nicht vergessen. Gleich groß als Gelehrter und auch als Mensch steht er als leuchtendes Vorbild vor uns! …“ Röntgen, der seine Vaterstadt immer in Ehren gehalten hat, hat Lennep auch in seinem Testament nicht vergessen. Am 7. Juli teilte der Testamentsvollstrecker mit, dass der Stadt eine Anzahl Wertpapiere zugefallen seien, deren Erlös sich auf 3654,10 Mark beziffert. Die Stadtverordnetenversammlung gab dieser Stiftung folgenden Verwendungszweck: „Aus dem Stiftungseinkommen sind Erziehungsbeihilfen an würdige und bedürftige begabte Schüler und Schülerinnen höherer Lehranstalten sowie Fachschulen zu bewilligen, zum Besuch von Hochschulen“.
Nachbemerkung von Wilhelm R. Schmidt: Belassen wir es hier bei den mit großem bergischem Engagement vorgebrachten Erläuterungen zu einem „Sohn Lenneps“, dessen Geburtshaus jetzt nach einer ganz grundlegenden Instandsetzung im März 2019 der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht werden wird. Oft bin ich in den letzten Jahren bei meinen Stadtführungen hier vorbei gekommen, manchmal auch hinein gegangen, um mich vom Fortschritt der Arbeiten zu überzeugen. Schließlich wurde auch ich ganz in der Nähe am Mollplatz geboren und wuchs im Areal hier auf. Nach der Sanierung des Gebäudes wurde eine „Publikumsausstellung im Geburtshaus Wilhelm Conrad Röntgen“ am 27. März 2019 eröffnet, und wir Lenneper können uns wünschen, dass sie ein bleibender Erfolg wird und der hier Geehrte nicht nur im wissenschaftsgeschichtlichen Himmel, sondern auch im lokalen und regionalen Bewusstsein als Lenneper erhalten bleibt. Hier oberhalb erblickt man noch eine historische Grußkarte mit einem Abbild Wilhelm Conrad Röntgens, auf der dessen Geburtsdatum seinerzeit falsch angegeben wurde, er war wohl damals noch nicht ganz so berühmt, denn den Nobelpreis erhielt er erst ein Jahr nach der Veröffentlichung dieser Postkarte, nämlich im Jahre 1901, aber das macht nichts, das Werbebild der seinerzeitigen Seifenpulverfirma Esser und Gieseke in Leipzig-Plagwitz kann uns auch heute noch erfreuen.