Staatliche Ingenieurschule in Lennep

16 April 2018 , Verfasst in Aus dem alten Lennep 

Im Jahr 1988 erschien in Wuppertal eine Festschrift des Fachbereichs 12 –Maschinentechnik-  der Bergischen Universität –Gesamthochschule Wuppertal.  „125 Jahre  jung“ hieß es dort fettgedruckt auf dem Cover, das auf Millimeterpapier einen Zirkel, eine Schieblehre und einen für unsere heutigen Verhältnisse vorsintflutlichen Computer zeigte. Der Inhalt der Schrift zeichnet für die Zeit von 1863-1988 die Ingenieurausbildung für das Bergische Land in Wuppertal nach, wobei u.a. auch die einschlägige Vorgeschichte in Remscheid-Lennep Thema ist. Mehrere Grußworte weisen darauf hin, dass das Tal der Wupper lange Zeit zu den größten Industrieregionen Europas zählte und im Zeichen neuer Entwicklungen im Textilmaschinenbau stand. So waren bald solide ausgebildete Ingenieure und Techniker dieser Maschinen sehr gefragt und gaben einen Anstoß zur Gründung von Ausbildungsstätten für diese technische Fachrichtung. Lange nannte man sie im Volksmund einfach Maschinenbauschulen. Der Remscheider Oberbürgermeister Willi Hartkopf bemerkte seinerzeit. „Als am 1. Oktober 1964 die Staatliche Ingenieurschule für Maschinenwesen im Röntgen-Museum in Remscheid-Lennep ihren Unterrichtsbetrieb aufnahm, ging für die Remscheider Wirtschaft ein lange gehegter Wunsch in Erfüllung“. Aber er fügte sogleich hinzu: „1970 hieß es dann allerdings schon wieder: Remscheid ist im Kampf um die Ingenieurschule aus dem Rennen. Das war für unsere Stadt eine schmerzliche Entscheidung der damaligen Landesregierung“.

Das Röntgenmuseum in den 1960er Jahren. Lenneparchiv Schmidt Neugasse 2 in Lennep um 1970. Foto Festschrift 1863-1988 -Maschinentechnik in Wuppertal. Wuppertal 1988
Die Unterbringung der Staatlichen Ingenieurschule Remscheid-Lennep begann und blieb leider mehr als provisorisch, Man lernte u.a. in Räumen der alten katholischen Schule am Stadion und des Röntgenmuseums. In der alten Moll´schen Fabrik in der Neugasse befand sich auch die Verwaltung der Ingenieurschule.  Fotos: Lenneparchiv Schmidt sowie Uniarchiv Wuppertal.                                       

Meist wird bis heute die Lenneper Ingenieurschule nur nebenbei und mit ihren Grunddaten genannt. Immerhin heißt es in einer Chronik der Bergischen Universität hinsichtlich ihrer Vorgängerinstitutionen für das Jahr 1964: „Zum Wintersemester öffnet die Staatliche Ingenieurschule für Maschinenwesen und Elektrotechnik in Remscheid-Lennep ihre Pforten. Dort studieren nun 400, in Wuppertal bereits über 500 zukünftige Ingenieure“- Im August 1971 dann wurden im August die Staatlichen Ingenieurschulen in Wuppertal und Remscheid  mit weiteren Ausbildungsstätten zur Fachhochschule Wuppertal organisatorisch zusammengefasst. Wenn auch die Lenneper Ingenieurschule in Remscheider Verlautbarungen kaum noch vorkommt, im Bewusstsein älterer Lenneper ist sie durchaus noch präsent. Ich selber kann mich gut erinnern, dass ich, wenn ich von unserem Haus am Mollplatz über die Neugasse in die Altstadt ging, dort auf die damaligen Ingenieurschüler traf, die seinerzeit ziemlich verstreut in Lennep studierten. Es waren ja nur wenige Jahre, bis man Lennep nach und nach wieder verließ, Diplome gab es bis 1973, und in der Chronik der jetzt vor Ort residierenden Lenneper Turngemeinde heißt es für das Jahr 1975 lapidar: „Die Ingenieurschule hat das Gebäude verlassen“. Die späteren Ingenieure, die „Ehemaligen“ der Lenneper Ausbildungseinrichtung aber feiern, wie wir noch sehen werden, bis heute in Lennep regelmäßig ihre damalige Zeit.

Zeitgenössisches Studienbuch, Quelle und Repro privat Zeitgenössische Ingenieururkunde, Quelle und Repro privat
Diese historischen Beispiele von offiziellen Dokumenten der Staatlichen Ingenieurschule für Maschinenwesen Remscheid wurden von einem ehemaligen Absolventen zur Verfügung gestellt. Repros privat.

Der Beginn

Am 2. Oktober 1964  begann die Staatliche Ingenieurschule für Maschinenwesen und Elektrotechnik in Remscheid mit den Fachrichtungen Maschinenbau und Elektrotechnik mit der Ausbildung. Bei der Neugründung ging man davon aus, dass man mit den Ausbildungseinrichtungen näher an die Bildungswilligen herangehen und so dezentrale Gebiete besser durch je eigene kleinere Schulen erschließen sollte. Die junge Lenneper  Ingenieurschule wurde dann auch trotz zahlreicher räumlicher Unzulänglichkeiten und einer erst langsam erfolgenden Ausstattung mit den notwendigen technischen Einrichtungen und dem erforderlichen Personal von einer jungen Dozentenschaft mit großem Eifer aufgebaut. In den überregionalen Zeitungen wurden seinerzeit für das Lehrpersonal Stellenangebote veröffentlicht. Z.B. hieß es in der Zeitung „Die Welt“ im Dezember 1967: Dipl.-Ingenieure und Dr.-Ingenieure, die sich berufen fühlen, ihre Erfahrungen an junge Menschen zur Ausbildung zu Ingenieuren weiterzugeben, werden für sofort oder später gesucht zur Einstellung als beamtete Dozenten bei der Staatlichen Ingenieurschule für Maschinenwesen Remscheid für die Fachgebiete Maschinenelemente, Konstruktionslehre, Getriebelehre und elektrische Maschinen. Herren mit mindestens fünfjähriger Berufserfahrung, die möglichst nicht älter als 45 Jahre sein sollten, finden hier ein Tätigkeitsfeld, das den vollen Einsatz fordert, aber zugleich der Entfaltung der Persönlichkeit Raum gibt. Nähere Informationen erhalten Sie durch die Staatliche Ingenieurschule für Maschinenwesen Remscheid, 563 Remscheid-Lennep, Neugasse 2.

Zeitungsanzeige 28. 12. 1967 in Die WELT Bierzeitung, Cover, des ersten Elektosemesters. Quelle und Repro privat
Im Dezember 1967 erschien  die Stellenanzeige für Ingenieurdozenten in den überregionalen Zeitungen. Vom Anfang des Jahres 1969 stammt  das Deckblatt einer Bierzeitung des ersten „Elektrosemesters“. Repros privat.

Die 60er und der Beginn der 70er Jahre – im Spannungsfeld von Fortschritt und Tradition

Ende der 60er und zu Beginn der 70er Jahre kam ein entscheidender Einschnitt in der Geschichte der Ingenieurausbildung. Durch die Überführung der Ingenieurschulen in den Hochschulbereich wurde ein entscheidender Schritt einer Annäherung zu der universitären Ingenieurausbildung getan. In dieser Zeit besaß die Staatliche Ingenieurschule in Remscheid mit 15 haupt- und 15 nebenamtlichen Lehrkräften und rund 400 Studenten modern ausgestattete Laboratorien, eine kleine Bibliothek, eine leistungsfähige Bildstelle und gut ausgestattete Konstruktionssäle. Sie bildete so einen wichtigen Teil für die am 1. August 1970 gegründete Fachhochschule Wuppertal. Doch  bevor dieser entscheidende Schritt  getan wurde, gab es noch im Winter-Semester 1968/69 und im Sommer-Semester 1969 einige Aufregungen an den Ingenieurschulen der Region, die unter dem Begriff „Streiksemester“ in die Geschichte dieser Ausbildungsstätten eingehen sollten.

Das Streiksemester – Aber die Ingenieurstudenten studierten nicht zum Vergnügen!

Die Studenten waren mit ihrem Status als Ingenieure ohne gesetzlichen Schutz ihres Titels und den Ausbildungsbedingungen unzufrieden. Sie schlossen sich deshalb z.T. den studentischen Revolten jener Jahre an und formulierten Forderungen für notwendig erachtete Veränderungen, speziell auch unter dem Gesichtspunkt, beim Fall der EWG-Schranken im Europavergleich nicht zurückzufallen. So berichtete die Bergische Morgenpost im Juni 1968 mehrfach über die Aktionen der Ingenieurstudenten an Informationsständen, in Remscheid und Lennep. „Es macht uns und ja gar keinen Spaß, zu demonstrieren“, hieß es, vielmehr  versuchten die Studenten das Interesse der heimischen Bevölkerung zu wecken. Streik und Prüfungsboykott sollten nicht der Erleichterung des Studiums dienen. Im Gegenteil, besonders die Aufnahmebedingungen sollten verschärft werden, damit auch in Zukunft die deutschen Ingenieure den gleichen Grad der Qualifikation aufweisen könnten wie im Ausland. Außerdem sollte vor allem auch der Übergang von den Ingenieurschulen zu den Technischen Hochschulen erleichtert werden.

Karikatur aus der Ferstschrift 1863-1988 -Maschinentechnik in Wuppertal. Wuppertal 1988 Abgangsdokumentation im Studienbuch. Quelle und Repro privat
Eine zeitgenössische Karikatur stellt die anfänglichen Probleme der berufsmäßigen Anerkennung der Ingenieur- und späteren Fachhochschulstudenten dar. Beim Verlassen der Schule wurde im Studienbuch die „Löschung der Verbindlichkeiten“ dokumentiert. Ohne diese Entlastung konnte das Ingenieur- oder Abgangszeugnis nicht ausgestellt werden. Repros privat.   

Praxisbezug und Zukunftschance – Gute Kontakte zur heimischen Wirtschaft

„Exkursion der Ingenieurschule in die Barmag“, so hieß es in einem Artikel der Bergischen Morgenpost im November 1968. Die Ingenieurstudenten der Abschlusssemester hatten sich vor drei Jahren für ihr Berufsziel entschieden. Jetzt ging es darum, einen konkreten Arbeitsplatz zu finden. Dazu begab man sich u.a. in die nahe gelegene Barmer Maschinenfabrik AG, und einen ganzen Tag lang konnten sich die jungen Leute in den Fabrikanlagen umsehen, Fragen stellen und sich über die vielfältigen Möglichkeiten des Ingenieureinsatzes unterrichten lassen. Bis ins Detail informierte man sich in den einzelnen Firmenbereichen, dabei war die sog. Versuchsfabrik die erste Station dieser Exkursion. Der damalige Direktor fasste später zusammen: „Wir haben Ingenieuren aller Fachrichtungen einen breiten Fächer aller Fachrichtungen zu bieten“, und die Lenneper Studenten äußerten sich entsprechend.  Die Kontakte zur örtlichen Industrie wurden systematisch ausgebaut und gepflegt, und der Erfolg war da: „In der heimischen Industrie waren wir gefragte Leute“ erinnerten sich später die ehemaligen Lenneper Absolventen.
Auch eine Studentenverbindung gab es

Die Entwicklung der Ingenieurausbildung war in den 1960er/1970er Jahren u.a. durch die Akademisierung der Ausbildungsgänge gekennzeichnet. Zwischen dem Technikerexamen und der universitären Diplomprüfung strebte man seinerzeit das eigenständige qualitätsmäßig gesicherte Fachhochschuldiplom an. Im Zuge der Akademisierung kam es überall in Deutschland auch zur Gründung von studentischen Fachhochschulverbindungen, so auch in Remscheid-Lennep. Man gründete die „IC Bergia“ und traf sich in der Gaststätte „Kürten“ an der Mühlenstraße sowie „Bei Marlies“ gegenüber dem Röntgenmuseum. Später bei der Ausbildung in Wuppertal kam es zur Gründung weiterer Ingenieurverbindungen. Die Ingenieurstudenten orientierten sich bewusst an Formen der universitären Korporationen und schufen sich dadurch einen Eigenbereich, natürlich auch, um der Anonymität der modernen Massenuniversität entgegensteuern.  Davon war man allerdings in Lennep vormals weit entfernt.

Röntgenmuseum mit Erweiterungsbauten um 1970. Lenneparchiv Schmidt Schwelmer Str. Gastwirtschaft -Bei Marlies- Lenneparchiv Schmidt
Während in den Räumen des Lenneper Röntgenmuseums tagsüber studiert wurde, trafen sich die Ingenieurstudenten zur Entspannung abends gern „Bei Marlies“ schräg gegenüber. Ansichtskartenrepros: Lenneparchiv Schmidt

Absolventen. RGA 30. 06. 1972 Nach dem Abschrauben der Beschriftung. Foto und Repro privat
Gern machte man in den wenigen Jahren, in denen die Lenneper Ausbildungsstätte bestand, vor dem Verwaltungsgebäude in der Lennper Neugasse 2 ein Gruppenfoto, so wie hier im Jahre 1972 zum Abschied (Zeitungsbild RGA). Wenige Jahre später, als es die Ingenieurschule schon gar nicht mehr gab, wurde bei einem Ehemaligentreffen nächtens die Beschriftung abgeschraubt und die Einzelbuchstaben auf dem Parkplatz des Röntgenmuseums verlost. Repro privat.

Treffen der Ehemaligen, Jubiläen und Erinnerungen

Die Examen an der Staatlichen Ingenieurschule in Lennep wurden in der Zeit ihres Bestehens von der Presse umfassend gewürdigt. Im Januar 1969 hieß es z.B. „Für die 43 Studierenden an der Staatlichen Ingenieurschule für Maschinenwesen, die am Samstag in einer Feierstunde im Foyer des Stadttheaters ihre Prüfungsurkunden überreicht bekamen, war es ein Freudentag. Zum ersten Mal seit Bestehen der Schule fanden auch Prüfungen in der Abteilung „Allgemeine Elektrotechnik“ statt. Und im Juni 1972 las man: „56 Absolventen der Fachhochschule Wuppertal, Abteilung Remscheid, sagten gestern ihrem dreijährigen Studentendasein Lebewohl“. Auf einem Foto dazu posierte die Abschlussklasse vor dem historischen Mollgebäude Neugasse 2, das der Ingenieurschule als Verwaltung diente und außen mit gut lesbaren Einzelbuchstaben die Aufschrift  „Staatl. Ingenieurschule“ trug. „Zum letzten Male unter dem früheren Firmenschild“ hieß es dazu. Dies sollte sich zusehends für die ganze Lenneper  Ingenieurschule bewahrheiten, denn schon bald darauf stand dieses Gebäude leer. Bei einem der ersten Treffen de „Ehemaliger“ wurden dann die Buchstaben im Januar 1974 in der später so genannten Räuberleiter-Aktion nachts abgeschraubt, und man machte noch ein nächtliches Foto damit auf dem rückseitigen Parkplatz des Röntgenmuseums. Die Buchstaben wurden verlost und verstreuten sich mit ihren neuen Besitzern in alle Winde.

Treffen April 2016, Foto Roland Keusch, Remscheider General-Anzeiger Foto Michael Sieber, Remscheider General-Anzeiger
Fotos: Sieber sowie Keusch, beide Remscheider General-Anzeiger (RGA)

Aber die damalige Zeit an der vergangenen Lenneper Ingenieurschule ist für die Absolventen auch bis heute nicht vergangen. Anfang April 2016 trafen sich in Lennep „Ehemalige“, die im Jahre 1966 ihr Studium begonnen hatten, also nach nunmehr 50 Jahren. Alle zehn Jahre trafen sie sich bisher, beim ersten Mal gab es die Ingenieurschule schon nicht mehr, aber der jetzt nächste Termin soll nun schon wieder im Jahre 2019 stattfinden, zum Gedenken an den Abschluss des damaligen Studiums nämlich. Da wünschen wir schon im Voraus vollen Erfolg!

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