Für eine Festschrift des Lenneper Schützenvereins 1805 e.V. verfasste vor vielen Jahren der Lenneper Willi R. Dresbach eine Darstellung der Zunftordnung der Lenneper Schneider. Vielen Lesern war es damals neu, dass es eine solche Zunft in der alten Bergischen Hauptstadt Lennep gegeben hat. Das Echo auf diesen Bericht war so positiv, dass der Autor noch einmal in etwas breiterer Weise auf dieses Thema einging. Denn es gab ja nicht nur eine Zunft der Schneider, sondern auch solche anderer Handwerker. Anhand von Zeugnissen verschiedener Archive und Veröffentlichungen zu Lenneps Geschichte verfasste der Autor seinerzeit einen Text, der hier für heutige Leser aufbereitet und in der Schreibweise modernisiert zusammengefasst wird.
Der älteste Zusammenschluss Lenneper Handwerker war wohl die „Gemeine Bruderschaft des wohllöblichen Wullenhandwerks“, die kirchlich ausgerichtet war. Bei Eintritt in die Bruderschaft musste Wachs geliefert werden, welches zur Beleuchtung diente. Aus den Erkundigungen des Jahres 1577 wissen wir, dass diese Bruderschaft und der „ehrbare Rat der Stadt Lennep“ bei der Kirche eine besondere Vikarie gestiftet hatten. Zur dieser Stiftung gehörte der „Hof Hasenberg, dem Herzog schätz- und dienstpflichtig“, welcher gegen den Betrag von 7 Talern verpachtet war. Aus anderen Erträgen kamen weitere 30 Taler hinzu. Schutzheiliger dieser Bruderschaft war, wie auch der der Lenneper Kirche, Sankt Jacobus. Er war der Patron der Pilger, und sein Namens- bzw. Feiertag war der 25. Juli, der Tag, an welchem man mit der Ernte beginnen durfte. Das Ziel dieser Bruderschaft war u.a. der Schutz von Kirche und Stadt. Lange Zeit noch richtete der Lenneper Schützenverein 1805 e.V. sein alljährliches Schützen- und Volksfest der Überlieferung gemäß am Sonntag nach „Jacobi“ aus, ein Hinweis auf den Heiligen, die Geschichte der Stadt und die „Vorläufer“ des Schützenvereins, deren Tradition gewahrt werden sollte, obwohl eine innere Beziehung wohl schon lange nicht mehr bestand.
Abb. 1: Reinigen der Wolle. Abb. 2: Waschen der Wolle.
Doch zurück zu den Zünften. Mit den Schneidern erhielten gleichfalls am 20. März 1603 die Schuster und Löher (Gerber) ihre Zunftordnung durch den Rat der Stadt Lennep. Eine
landesherrliche Bestätigung erfuhren die Schuster am 31. Oktober 1717 bzw. durch den Herzog Carl Theodor am 12. November 1754. Der Inhalt der Zunftordnung war im Wesen derselbe wie der der Ordnung der Schneider. Einige Punkte wurden jedoch zusätzlich aufgenommen:
Es war den Schustern verboten, auf den jährlichen Markttagen Schuhe anzubieten, bei denen Pferdeleder verarbeitet worden war. Wenn ein „Amtsmeister“ derartiges doch feststellte, sollte eine Strafe von einem Goldgulden fällig werden. Auch fremde Schuster durften an gewöhnlichen Markttagen hier in Lennep verkaufen. Nicht erlaubt war den Schustern die Ausübung des Handwerks bzw. das Arbeiten an Sonntagen oder Apostel- bzw. sonstigen in den Jülich-Bergischen-Landen verordneten Feiertagen. 50 Albus(Münze) Strafe musste der dabei angetroffene dann an das Handwerk zahlen, mit dem Vorbehalt, dass zusätzlich der Landesherr auch noch eine Buße fordern konnte. Bei dieser Zunft war „die Arbeitsluft auch wohl trockener“ als bei den Schneidern, denn der angehende Meister musste dem Amtsmeister bei der Meisterwerdung gleich eine Kanne Wein spendieren. Viele detaillierte Nachrichten über die Frühzeit der Zünfte in Lennep gingen wie andere Dokumente zur Stadtgeschichte beim großen Stadtbrand am 6. Oktober 1746 verloren. Erst aus späteren Jahren finden wir weitere Informationen.
Wie bereits vor mehr als 200 Jahren im Lenneper Magistrat Meinungen aufeinander prallten bzw. Interessen vertreten wurden, dies zeigt uns ein gedruckt erhalten gebliebenes Protokoll aus dem Jahre 1768. Natürlich geht es dabei um die Zünfte oder besser gesagt um das „Zunftunwesen„: Ein Ergebnis des Berichtes bzw. des eingesandten Protokolls ist uns erhalten geblieben. Der Landesherr Carl Theodor lässt nach Prüfung durch den Geheimen Rat am 19. Juli 1769 den Inhalt der Zunftordnung der Lenneper Schneider durch den Grafen von Efferen bestätigen. Aus dem Protokoll erfahren wir aber auch etwas über die dritte damals in Lennep existierende Zunft, nämlich die der Tuchscherer. Diese erhielten ihr Zunftprivileg im Jahre 1704. Ihnen wurde damit die alleinige Appretur der damals in Lennep fabrizierten Tücher – wovon die feinsten (nur) zwölfhundert Fäden in der Kettung hatten – zuerkannt.
Abb. 3: Die Weber. Die Darstellung weist anders als später bei Gerhard Hauptmann nicht auf das Elend der Weber hin, sondern auf den frühen Wohlstand der Weber in Lennep.
Doch schon seit dem Ende des 17. Jahrhunderts war durch das Einführen der Verarbeitung spanischer Wolle anstelle einheimischer Lammwolle ein Wandel in der Lenneper Tuchfabrikation eingetreten. Die groben Tuche entfielen mehr und mehr, und es wurden feine Tuche mit 2.100 bis 2.600 Kettfäden gefertigt. Die in der Zunft zusammen geschlossenen Lenneper Tuchscherer bestanden aber darauf, dass auch diese feinen Tuche von ihnen zu bearbeiten seien, obwohl nicht alle diese Kunst beherrschten bzw. dafür eingerichtet waren. Dies führte immer wieder zu Streitigkeiten und kostspieligen Rechtshändeln zwischen Kaufleuten und feinen Tuchfabrikanten mit den Anführern, den sog. Baaßen, der Tuchscherer, weshalb die Kaufleute auch immer wieder die Abschaffung dieser Zunft forderten. Um 1790 machten die Lenneper Tuchkaufleute deshalb wieder eine umfangreiche Eingabe bei der Bergischen Landesregierung. Zeugnisse mehrerer Kunden und eine Stellungnahme der „feinen Gewandschaft“, ein früher Unternehmerverband, aus Monschau wurden beigefügt. Das angestrebte Ziel wurde erreicht und die Tuchschererzunft endlich aufgehoben. Der umfangreichen Darstellung der Lenneper Tuchkaufleute können wir zusätzlich entnehmen, dass sich die Tuchscherer nicht nur zunftmäßig organisierten, sondern sich außerdem wie die in Lennep ansässigen Weber und Maurer in einer „Lade“ zusammengeschlossen hatten, um in Not oder Krankheit Unterstützung zu erhalten.
Abb 4: Frau am Spinnrad und Abb. 5 Der Tuchscherer (Früher Holzstich). Das Motto lautet: „Die Kleidung such im Geist, die ewig nicht zerzeist (zerzaust)“.
Werfen wir aber noch einmal einen Blick auf die Schneider. Neuen Ärger in und um dieses Handwerk gab es 1793/94. Aus einem Brief des Bergischen Rats von Hompesch an den Magistrat der Stadt Lennep von 29. August 1794 können wir nachstehendes entnehmen: Der Beisitzer der Lenneper Schneider-Ambacht (Handwerkszunft) Peter Christoph vom Weege hatte sich über den Ambachtsmeister Düssel und den Meister Damkel wegen der zerschlagenen Zunftlade und wegen den bei der Zunft vorgekommenen Exzessen bzw. eingeführten Handlungen beklagt. Die Regierung entscheidet nun, dass es bei dem Privileg von 1752 bleiben solle und kassiert die eigenmächtig hinzugefügten Bestimmungen. Dem Rat der Stadt Lennep wird aufgegeben, darüber zu wachen und dafür zu sorgen, dass alljährlich an einem festzulegenden Versammlungstag allen Zunftgenossen die bestätigte Ordnung von 1752 vorgelesen werden soll. Dies habe auch jedes Mal zu erfolgen, wenn ein neuer Meister aufgenommen werde. Bei Nichteinhaltung soll eine scharfe Strafe von der Zunft erhoben werden. Düssel und Damkel werden wegen des eigenmächtigen und gewaltsamen Aufbrechens der Zunftlade mit 3 Reichstalern Strafe belegt und müssen die entstandenen Kosten zur Hälfte tragen. Gerichts- und Kanzleigebühren sind vom Rat der Stadt Lennep von allen Beteiligten einzuziehen und innerhalb von 14 Tagen nach Düsseldorf abzuführen. Anlässlich des Regierungsantritts des Herzogs Maximilian Joseph im Jahre 1799 hat der Magistrat der Stadt Lennep erneut die Aufhebung der Schneiderzunft beantragt, während Beisitzer und Amtsmeister derselben um die Bestätigung des Privilegs gebeten hatten. Die Landesregierung – durch den Rat von Beveren – entschied, dass es einstweilen bei dem Privileg zu belassen sei und wies den Rat am 27. Aug. 1799 an, dies den Bittstellern mitzuteilen. Soweit die Nachrichten zu den Lenneper Zünften.
Abb. 6 und Abb. 7: Ausriss einer Niederschrift der Verhandlung über die Missbräuche der Zünfte in Lennep 1768. Mit wichtigen Lenneper Namen der Stadt- und Tuchgeschichte.
Zum Abschluss sei es aber noch gestattet, einen Blick auf die Remscheider Schusterzunft zu werfen. Dieser Blick zeigt uns nämlich, dass Probleme nicht nur in Lennep, sondern sicherlich überall und so auch in Remscheid auftraten. In seinem Bericht von 1802 schreibt der Bergische Rat J.W. Bewer: Auch in Remscheid haust noch eine Schuster-Zunft. Sie treibt da wie allenthalben auf dem Lande ihren Unfug, denn der Beamte sagt, dass die Aufnahme in diese Zunft mit dem Antrittsschmaus oder sogenannten Liebesmahl einem jungen Mann, ehe er den Pfriem in die Hand nehmen dürfe, 50 – 60 und mehrere Reichstaler koste. Für dieses würde er Meister genannt, obwohl er oft nur einfacher Schuster sei. Der Beamte wünscht daher, dass diese ringige (unbedeutende) Zunft aufgesagt würde. Bewer sagt dann weiter: Auch dieser Wunsch kann gewährt, mithin untertänigst angeraten werden, dass die in Remscheid bestehende Schusterzunft aufzuheben sei.
Soweit die Darstellung Willi R. Dresbachs. Wir ergänzen sie hier mit einem Auszug aus einem bebilderten Band mit dem Titel „Bekanntschaft mit feiner Gewandschaft – Die Firma Johann Wülfing & Sohn Remscheid-Lennep im Leben ihrer Zeit“ aus dem Jahre 1953. In einem Kapitel über die „Löbliche Brüderschaft zu St. Jacoby“ heißt es u.a.:
Die Ursprünge des Zunftwesens im Bergischen Land liegen im Dunkel. Mag sein, dass die Zünfte anfänglich in Zusammenhang mit den Fronhöfen der Gebietsherren standen, wofür der Umstand spricht, dass in sehr früher Zeit die handwerklichen Zusammenschlüsse auch „Ämter“ genannt werden. So war in Lennep das Wollweberhandwerk im „Wullenamt“ zusammengefasst. Aber mochte dies noch eine Regelung „von oben her“ gewesen sein, so hat es sich doch bei der „löblichen Brüderschaft des Wüllenhandwerks zu St. Jacoby“, von der wir bereits zu Anfang des 16. Jahrhunderts hören, gewiss um einen genossenschaftlichen Zusammenschluss von Lenneper Webern auf der Grundlage der Gleichberechtigung gehandelt. Die „löbliche Brüderschaft“, die sich bezeichnenderweise einen Heiligen zum Schutzpatron erkor, ist für uns zum Urbild der Lenneper Weberzunft geworden.
Abb. 8: Im 19. Jahrhundert griff man die Tradition der spätmittelalterlichen Tuchsiegel wieder auf. U.a. bei der Familie Springmann, Wülfing, Karsch mit einem Beispiel von 1470.
Streng, ja erbarmungslos, waren damals die Gesetze und Statuten der Zünfte, die in übersteigertem Konservativismus darauf hinzielten, den Status quo zu erhalten und nichts Neues aufkommen zu lassen. Vor allem galt es, den Zuzug fremder Meister zu erschweren, was durch eine drakonische Zulassungsordnung erreicht wurde. Aber auch dem Nachwuchs goldene Brücken zu bauen, lag den Zünftlern nicht übermäßig am Herzen. Die Lehrzeit war lang und hart, die Beschäftigung von Gesellen gewissermaßen „kontingentiert“, in Lennep durfte jeder Meister nur einen Lehrling und einen Gesellen halten, die Disziplin unter dem Bruder- oder Amtsmeister war scharf, und die kirchlichen Bindungen erschienen oft drückend. Trotzdem haben die Zünfte im Rahmen des damals wirtschaftlich Möglichen ihr Teil geleistet: indem sie Kapitalien ansammelten, schufen sie die Voraussetzung für betriebliche Gemeinschaftsanlagen, die der einzelne Meister niemals hätte erstellen können. Sie sorgten den Lenneper Wollwäschern und Färbern für Wasser, bauten die St. Jacobs-Walkmühle aus und errichteten ein Farbhaus in Verbindung mit einer Wollküche. Technische Verbesserungen solcher Art sicherten dem Stadthandwerk einen beträchtlichen Vorsprung vor den Meistern auf dem flachen Lande; sie steigerten die Produktion und förderten den Absatz.
Abb. 9 – Abb. 11: Der Kleine Heilige Jakobus mit einem Gerät zur Wollbearbeitung in einer Zeichnung der Remscheider Künstlerin Gisela Besch, Reste der ehemaligen Jakobsmühle im Bachtal zwischen Lennep und Radevormwald und ein Hinweis auf die frühe Weberglocke in der ehemaligen Stadtkirche in Lennep (nach Paul Windgassen).
Dass in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Lenneper Tücher beim Publikum „in Verachtung“ kamen, lag sicherlich nicht am mangelnden Eifer der städtischen Zünfte. Es war vielmehr eine Folge des erbitterten Wettbewerbs zwischen den Webern in der Stadt und den Webern auf dem Lande. Das Landhandwerk warf schmale und geringwertige Stücke auf den Markt, die als „Lenneper Laken“ gingen und die den guten Ruf der städtischen Erzeugnisse in Mitleidenschaft zogen. Aber die „löblichen Brüder“ ließen sich nicht entmutigen. Lenneps „Wüllenhandwerk“ appellierte an den Landesherrn und erwirkte im Januar 1571 der Stadt das Privileg zur Verarbeitung feiner Lammwolle. Die „Ländler“ hingegen durften nurmehr gemeine Wolle verweben. So hatte Einigkeit stark gemacht, der Gemeinschaftsgedanke hatte gesiegt. Wer also über die Zünfte den Stab zu brechen sich anschickt, bedenke zuvor jene uralte Fabel von den Pfeilen im Köcher, von denen jeder einzelne sich leicht zerbrechen ließ, die aber in ihrer Gesamtheit dem stärksten Druck Trotz boten.
Bild-, Text- und Literaturhinweis: Willi R. Dresbach, Über die Zünfte in der Stadt Lennep, maschinenschriftliches Manuskript, o.J.; Adolf Böse: Johann Wülfing & Sohn, Lennep 1948; Bekanntschaft mit feiner Gewandschaft – Die Firma Johann Wülfing & Sohn Remscheid-Lennep im Leben ihrer Zeit, o.J. (1953). Wilhelm R. Schmidt, Aus dem alten Lennep – Sagen und Erzählungen, Geschichte und Geschichtliches, u.a. Sutton, Erfurt 2007.