Vertällchen am Fenster

16 April 2021 , Verfasst in Aus dem alten Lennep 

Als ich dieser Tage wieder einmal durchs Städtchen schritt, da genoss ich erneut das schöne alte Lennep, oder besser: seinen Stadtkern innerhalb der Wallstraße, und auch nach dem Wegfall so mancher historischen Gebäude ist dieses Zentrum vielerorts immer noch überaus eng, in der Mitte liegt seit Jahrhunderten der Alte Markt und drum herum die vielen kleinen Gässchen. Nur die Älteren von uns haben vielleicht noch in persönlicher Erinnerung, dass die heutige Straßenführung der Lenneper Innenstadt im Prinzip zwar nach wie vor dem mittelalterlichen Vorbild folgt, dass es aber Mitte des vorigen Jahrhunderts vielerorts noch viel enger war. Man kann sich das gut vorstellen, wenn man z.B. bedenkt, dass bis 1945 auf dem oberen Alten Markt nicht nur das 1791 erbaute Steinerne Rathaus stand, das lange Zeit auch als Lenneper Amtsgericht diente und die Stadtverwaltung sowie die erste Lenneper Sparkasse beherbergte, sondern schräg dahinter auch noch das sog. Nattermüllersche Haus, in dem u.a. eine Tapeten-, Wachstuch- und Glashandlung residierte. Das im Krieg stark beschädigte Bauwerk wurde erst 1961 abgerissen. Alles Genannte hatte damals zusätzlich auf dem Alten Markt in Lennep Platz.

In den umliegenden Gassen war und ist es selbst bis heute so eng, dass man von Fenster zu Fenster kommunizieren und sich das Neueste erzählen kann, wovon in historischer Zeit auch täglich Gebrauch gemacht wurde, so dass die Lenneper Neuigkeiten keine spezielle Gerüchteküche brauchten, weil ganz Lennep sowieso ein solche war.  Davon handelt auch unser heutiger Beitrag, der auf Erinnerungen einer „alten“ Lenneperin beruht, die lange Zeit in der Wetterauer Straße wohnte, und die deshalb über ihr Umfeld wahrheitsgetreu viel aussagen konnte. Aus diesem Grund kommen bei ihr außer der Wetterauer Straße auch die Brandgasse, die Steeggasse, die Peters- und die Paulsgasse sowie die Poststraße und die Wallstraße vor. Sie werden zwar nicht immer beim wirklichen Namen genannt, sind aber doch erkennbar durch die Beschreibung und Benennung der historischen Persönlichkeiten, die man in den alten Adressbüchern der ehemalig Bergischen Haupt- und Kreisstadt wiederfinden kann.

Abb. 1 Abb. 2
Die Wetterauer Straße links mit der uralten Gastwirtschaft „Schmerige Pann“. Die „vürnähmen Kinder“ wohnten aber eher im Speckgürtel der damals „Neuen Poststraße“.

Es ist nun schon bereits rund vierzig Jahre her, dass diese Erinnerungen anlässlich der seinerzeit anstehenden 750-Jahrfeier den Weg in verschiedene Publikationen fanden. Alt-Lennep hatte damals besondere Konjunktur, und auch die kostenlosen Postwurfzeitungen überboten sich in dieser Zeit nicht nur in geschichtlicher, sondern auch in sprachlicher Hinsicht. Das Lenneper Platt hatte seinerzeit viele, damals im Vergleich zu heute noch kundigere Leser, nach dem Motto: Mundart ist lebendige Heimatgeschichte. Für den heutigen Beitrag hier ist wichtig, dass er von einer Lenneper Person, nämlich einer alten Lenneperein in Lenneper Platt geschrieben wurde, so wie sie es von den Vorfahren übernommen hatte und selbst noch sprach. Ganz bewusst wollen wir den Originaltext heute nicht im Einzelnen kommentieren, denn sowohl die sprachlichen wie auch sachlichen Kommentare wären ausgesprochen umfangreich, so dass sie, am jeweiligen Ort des Textes vorgenommen, diesen völlig auseinanderreißen würden. Betrachten wir es heute einmal als Denksportaufgabe, einen alten Text zu entschlüsseln, so wie man ein Kreuzworträtsel oder eine Soduku Aufgabe löst. Beim Nachdenken werden in jedem Fall viele Erinnerungen wieder auftauchen. Den einen oder anderen Begriff oder die speziell Lenneper Ausdrucksweise wird man schon einmal gehört haben, auch wenn heute nicht ohne weiteres mehr bekannt ist, was Wenkelswaren sind, und dass das entsprechend genannte Geschäft in der Petersgasse lag. Um 1900 allerdings warb es schon mit den seinerzeit modernen Bezeichnungen Spezerei- und Kolonialwaren. Folgen wir nun dem Text, der davon handelt, was man sich um die (vorletzte) Jahrhundertwende zu erzählen hatte. Die Überschrift lautete:

Vertällchen am Fenster

Jans freuer heil man oft bi openem Fenster en Vertällchen. So geschoh et ock en där Wallstrote, wo de Famelje Piepenbosch jemeutlich bim Meddageten tesamen sot, de Anton, et Läuerken un deren sess Kenger. Am Kökenfenster vörbie kohm et Nonnenbruchs Minneken un hadde enen jroten Korf  bie Klein Diedrichs Wenkelswar enjekoft. Et tuppde op die Rutte. Jodden Dag tesahmen. wie jeht et önk noch, wat meken de Kenger? – Och danke där Nachfrog Minneken, komm ens op Stell ren, vie mötten dek ens ene janz wichtige Neuigkeit vertällen. Denk ens ahn, däm August sinn Emma hat en stazen Jongen jekregen. De Hebamme, de Frau Schmetz hät en te Hus jeholt. Kik ahn Läuerken, wie sall hei dann hetten? – Jo de August hät en op Kal dopen lohten. Do hät hei awer in wieser Vörussecht jehangelt, Kal sall hei hotten, hei well en bruken en där Schmetten. Wolls du en Spierken met eten Minneken? Et jött Reuwenmaus ongeren. Et wohr mek zwar en wennig stiew jewuhren dürch die völlen mehligen Erpel. Äwer dat es nech de Welt, ek schnie van däm Rest hütt owend Schiewen en de Pann un broh die op de Führung. — Hie hässe ok en Müffken Flehsch dobie. Ek wohr äwen bim Perdsschlächter un häw mek alt fottens Wurschtenbräu metjebracht. Weil ek morjen Pannasch koken well. Dann eten se noch ens wier all wie de Schürendrescher.

Jo wat seih ek dann dobutten op där Strote? Jrade lött dat Perd, wat däm Buhr vam Rotzkotten hört, öntlich wat Perdsköttel fallen. Fritzken, lop schwank op et Hüsken un hohl dän alen Emailleehmer un de Dreckschöppe, un lop fottens op de Strote. Wehsse Minneken. dat es Jold för em Anton sinnen Jahren. Dat jött em Herfst mols staze Kappesköhl. Die schab ek op där jroten Schabe un de Blagen mötten dän alle met ehren Feuten en die jroten Steendoppen endrampeln. Dat jöt dösen Wengkter manche Mohltiet. Wolls du noch en Spierken Jemäus Minneken? – Nä danke Läuerken, ek hadde noch van jestern Pillekeskauken öwer, dann mötten vie fottens noch eten. Ek mak op Stell en jott Pöttschen Koffe. Emilken, hie hässe drei Penning, nömm dan alen Waterkeetel un lop ens schier en de schmerige Pann un hohl Koffewater. Fall dek nech Jong. Pass op. Jo Läuerken, du häss wohljerohene Kenger. Dat Kleinste es jo en leiw Stüppken, et hät so jleunige ögskes. jenau wie de Anton. 

Kik ens hie. Ek haw hütt morjen en feinen Pöttjeskauken jebacken. Tatsächlich Läuerken, dä es je schwatt van Rosinen. – Nu mot ek äwer van Hatten lachen Minneken. Du bös doch en doll Fazun. Dat send doch alles Krenten. Ek nömm emmer voll dovan un scheit die nech en dän Kauken, wie dat angere maken. Do kömmt jo ek et Emilken alt wier. Wöröm hühls du dann Kengk? – Och Mama, dä Adalbert van där Poststrote hät mek min Tängken losjeschlohen. Do häw ek äwer dat Koffewater ens en Ogenbleck op de Brandgasse jestallt un däm vührnähmen Peias öntlich wat vör de Kasematten jeschlohen. – Dat wor rechtig Jongk. wenn vie ok arme Lüh send, bruken vie uns doch nech alles jefallen te lohten. De Vader brengt dek op Stell en Bengelschen öm dat Tängken, matt die ene Sitt an de Dührklenke fast, du löpps en paar Schrettschen un dat Tängken es dobutten. Jöw dat hühlen op, dinne Moder schenkt dek ok twee Penning, do kannze dek Brezeljeschräbbels för kopen.

Jo Läuerken, so jeht et em armen Mann. Et es ewig onrecht op där Welt. Der ehne hät dän Bühl un dar angere dat Jeld. — Anton stank fottens op un hohl de Koffemöhl alt ut däm Schaap. Dau en paar Bohnen met bie dän Kikut Malzkoffe. weil et Minneken hie es. Kenger, un jet stellent schwank de Koffeköppkes op dän Desch, domet vie Koffe drenken können. Jott Läuerken. wat schmakt mek din Pottjeskauken jott. Dänn häs du ok so fein mönkesmohte jeschnieen. Du bös ene jodde Husfrau, alles wat recht es. Dat mott ek ok woll sieen. wo ek so völl Blagen te obsalfieren häw. Nu mot ek mek äwer op de Been maken. De Adalbert es ongerem Tuhn herjekropen. Un hät sek em Hengerschten van sinnem blau Lienen ene tief jerehten, Dat mott ek äm op Stell wier en Ordnung brengen – Nä, nä, wat würd me stief, wenn me älder würd. Völlen Dank för dän jodden Koffe. Holent önk dän ens bie Jelegenheit wier. Ek bak dann Muzen met stiewem Ries. —Lot et önk allen jott  johen. Bis op Stell ens. 

Abb. 3 Abb. 4
Die heute so nicht mehr existente Lenneper Brandgasse und ein Teil des verwinkelten Straßenzugs des Lenneper Munsterplatzes. Vieles wurde nach dem Zweiten Weltkrieg hier wegsaniert.

Wie gesagt wollen und können wir hier nicht eine eingehende Erklärung oder sogar eine „moderne“ Übersetzung präsentieren. Aber ein paar Dinge soltten doch erwähnt werden: 1) in der Lenneper Petersgasse gab es um 1900 ein Kolonialwaren- und Spezereigeschäft der Geschw. Diedrich. Zuvor sprach man hier wie in unserem Text von Wenkelswaren. 2) In der Steeggasse stand bis zum Abbruch 1931 Peter Nonnenbroichs Haus. In unserem heutigen Text wird der Name Nonnenbroich in der Form Nonnenbruch gleich zu Anfang erwähnt 3) In der Wetterauer Straße befand sich in einem um 1800 erbauten Fachwerkhau eine Wirtschaft, die im Volksmund als Schmerige Pann bezeichnet wurde. 4) Das Areal der historischen Brandgasse fiel in der Zeit der Stadtsanierung nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend der Spitzhacke zum Opfer, ein Paradebeispiel für die Klagen aller Freunde der Lenneper Altstadt. 5)  In der Poststraße wohnten die im Text erwähnten „vürnähmen“. Zu Beginn des 19. Jh. siedelten sich hier die reichen Fabrikanten und Kaufleute an, mit Ihren Villen, Geschäftshäusern, manche damals auch noch mit den Lagerhäusern. 6) Die Paulsgasse zwischen Wallstraße und Petersgasse war bereits um 1900 ein beliebtes Fotomotiv. Viele Lenneper Wirtschaften, z.B. Windgassen und Dürholt wechselten sich damals im unteren Eckbereich zur Petersgasse ab. Und übrigens: Läuerken ist die Verkleinerungsform von Laura, ein früher in Lennep sehr beliebter Mädchenname.

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