Neulich blätterte ich mal wieder in einen Heft, das kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in Remscheid-Lennep in der Druckerei von Adolf Mann Nachfolger erschien, im Jahre 1947, meinem Geburtsjahr in Lennep. Produziert wurde dieses Heft mit seinen 40 Seiten als „Jahrbuch 1 des Bergischen Geschichtsvereins Abteilung Lennep-Lüttringhausen“ und sein Inhalt war ein Beitrag des äußerst produktiven und seinerzeit sehr bekannten Heimatforschers Carl vom Berg (gest. 1948) mit dem Titel „Sagen und Erzählungen aus dem alten Lennep“. Neben dem allgemeinen Ziel damals, ein neues Jahrbuch herauszugeben und den Mitgliedern des wieder erstehenden Geschichtsvereins zuzustellen, sollte auch das Interesse an den alten heimischen Familien, an tatsächlichen und sagenhaften Personen der ehemaligen bergischen Haupt- und Kreisstadt Lennep neu erweckt werden. Da nimmt es nicht Wunder, dass neben dem Vorläufer der Reformation Bernd Hankeboot, dem Pfarrer Eduard Hülsmann im vorletzten Jahrhundert und der fiktiven Eulenspiegelgestalt des Heimatdichters Georg Schirmer auch die Lenneper Familie Moll hierbei eine Rolle spielte.
Zwei frühe Nachkriegspublikationen des Bergischen Geschichtsvereins, verfasst von den Heimatforschern Carl vom Berg bzw. Paul Windgassen. Das Papier war damals noch schlecht, aber der Inhalt gut und interessant. Originale der Publikationen in der Lennepsammlung Schmidt.
Am Ende des genannten Heftes ist der Famile Moll unter der Überschrift „Von der ältesten Lenneper Familie“ ein längerer Abschnitt gewidmet, verfasst kurz nach 1800 von einem Pfarrer namens Johann Moritz Schwager. Der im heutigen Lennep unbekannte Mann besuchte in seiner Jugend zunächst die Lateinschule am Lenneper Kirchplatz und wurde später zu einem exponierten Vertreter der Aufklärung, der den Vertretern des Pietismus entschieden und oft auch mit den Stilmitteln der Überzeichnung, Ironie und Satire entgegen trat.
Die außerordentlich vielseitige Publikationstätigkeit des Theologen und Schriftstellers Johann Moritz Schwager (1738 – 1804) steht heute in zahlreichen gedruckten und digitalen Versionen zur Verfügung. In Lennep besuchte er als Kind die Trivialschule / Lateinschule direkt neben der evangelischen Stadtkirche.
Im Jahre 1803 unternahm dieser Pfarrer Johann Moritz Schwager von Westfalen aus eine Reise durch das Bergische Land. Im folgenden Jahre 1804 gab er eine in Leipzig gedruckte Schrift mit dem Titel „Bemerkungen auf einer Reise durch Westfalen bis an und über den Rhein“ heraus. Die Berichte des Pfarrers zeugen von einer guten Beobachtungsgabe und sind stellenweise mit köstlichem Humor abgefasst. Er kam auch nach Lennep, wo er alte Freunde und Bekannte wiedersehen wollte, u. a. besuchte er auch die Familie Moll, deren Mitglieder er aus der Zeit an der Lenneper Lateinschule kannte. Nach Carl vom Berg berichtete er darüber, hier in ein wenig modernisierter Schreibweise, Folgendes:
„Das Melchior Moll´sche Haus in der Cöllnerstraße war mir immer ein merkwürdiges Haus gewesen; zwei Brüder und eine Schwester kannte ich schon lange, alle drei lebten noch zusammen, und nur ein Bruder hatte geheiratet. Der eine Bruder war blind durch die Pocken, spielte aber das Klavier sehr gut, wenigstens nach damaliger Art, und er komponierte auch. Er hatte eine hölzerne Maschine erfunden, ungefähr wie die Ziffertafeln in den Kirchen, wo er hölzerne Noten befestigte, und diese waren so leserlich, dass ich sie als Schüler schon spielen und abschreiben konnte. Er hatte eine Essigbrauerei und machte große Geschäfte; er hielt genau Buch, aber – mit Kerbhölzern. Ich bin erst in Remscheid Zeuge seiner Akkuratesse gewesen, forderte man seine Rechnung, so griff er in die Tasche, und fand unter hundert Kerbstücken das rechte heraus, las mit den Fingern Monat und Tag, wann seine Kunden etwas bekommen hatten, las dann andere Kerbe, wie viel, und wieder andere, was darauf bezahlt sei, und er verrechnete sich nie. Bezahlte man ihn auf Abschlag, so bemerkte er auf der Stelle, wie viel, bezahlte man ihn aus, so löschte er und notierte sich die neuen Kommissionen. Mit dem Geld konnte ihn niemand hintergehen, denn er kannte jede Münzsorte, falsches Geld besser als ein Sehender, und in seinen Kopfrechnungen gab es keinen Rechenfehler. Er ließ sich vorlesen und hörte mit größerem Nutzen, als wir lesen, denn ungestörter dachte er das Gehörte durch und sprach mit Scharfsinn darüber. Ich fand ihn noch am Leben, aber das war auch alles, er war elend und stumpf und sprach fast gar nichts. Er starb im November 1802. Sein Bruder war zwar noch munter, aber ein Krüppel; er hatte sich das Hüftbein gebrochen, es war nicht gut geheilt oder konnte vielleicht nicht besser geheilt werden, er muss sein Leiden bis ins Grab tragen, doch gab ihm Gott Frohsinn und Geduld, und so trägt er leicht. Die Schwester leidet auch, ihr Übel hab ich vergessen; aber die Religion hilft ihr tragen, und sie wird nicht untersinken. Auch Johann Moll in der Mühlenstraße wollte mich wiedersehen, und ich besuchte ihn; wir waren früher meist zusammen und verstanden uns bald wieder. Er hatte eine Frau aus Osnabrück gehabt, eine Bekannte der meinigen; er war Wittwer, und ich glücklicher als er. Als Tuchmanufakturist war mir ein jeder Moll denkwürdig, denn sie verfeinern die Stoffe, und dadurch kommt man weiter.“
Die Lenneper Familie Moll war so bedeutend, dass ihr Name, Wappen und Siegel mit den drei Maulwürfen auf vielen Urkunden der städtischen und kirchlichen Tradition bis heute erhalten sind. Die oben stehenden Beispiele stammen aus dem Werk Carl vom Bergs: Geschichte der Stadt Lennep – Urkundenbuch Band I., Lennep, Verlag und Druckerei Adolf Mann, 1900. Vergrößerung des Siegels des Schöffen Melchior Moll von 1634 s. u.
Soweit der Bericht des übergangsweisen Lennepers Johann Moritz Schwager aus dem Jahre 1804, der pointiert auf Dinge hinweist, die er seinerzeit als merk- und denkwürdig, also
berichtenswert empfand. Carl vom Berg ergänzte später dazu: „Die Familie Moll gehört zu den ältesten Geschlechtern der Stadt Lennep. Sie führt im Wappen drei Mölle – Maulwürfe. Ein Namensträger Moll zog gegen Ende des 15. Jahrhunderts nach Köln und erwarb dort das Bürgerrecht. In den langen Reihen der Bürgermeister und Ratsherren kommen viele Namensträger vor. Die Familie Moll stellte der Stadt und der evangelischen Kirche manche tüchtige Männer, die auf diesen Gebieten eine rege Tätigkeit entfaltet haben. Die Familie Moll war im 18. Jahrhundert so zahlreich in Lennep vertreten und so begütert, dass sie einen eigenen Friedhof hatte. Der Familie Moll zu Ehren hat man den Platz vor dem „Berliner Hof“ später Mollplatz genannt“.
Carl vom Berg nahm die Schilderung Moritz Schwagers wohl vor allem aufgrund dessen anekdotenhafter Erzählweise und der Eigenartigkeit der geschilderten Personen in sein Bändchen der „Sagen und Erzählungen aus dem alten Lennep“ auf. Und in der Tat waren es oft sehr eigene Personen, die für Gegenwärtige und Spätere Anlass der Erinnerung bis hin zur Belustigung gaben, man denke in Lennep nur an die Polizeivertreter Kommissar Frohnert vom Kreisgefängnis in der Poststraße und den Wachtmeister „Vatter Busatis“, aber auch an den Kreiswundarzt Dr. Ludwig-Friedrich Himmelreich und den Verleger der „Freisinnigen Zeitung“ Peter Hackenberg vom Gänsemarkt, dessen Gewicht man auf dreieinhalb Zentner schätzte, und der mal schnell den ganzen Sonntagsbraten verputzte, wenn die Mutter zur Kirche ging. Nicht zu vergessen auch das „Bübchen“, ein ehemaliger Soldat, der nach seiner Ausmusterung sein Geld gern in Schnaps umsetzte und von dem sogar zwei Lenneper Postkarten erhalten sind. Ich habe selbst ca. zwanzig dieser „Lenneper Originale“ oder „Schrägen Typen“ in dem Band mit dem Titel „Aus dem Alten Lennep“ zusammengefasst und über viele Jahre Stadtführungen dazu durchgeführt. Der bebilderte Band setzt seit 2007 die zu Beginn dieses Beitrags geschilderte Publikation des Bergischen Geschichtsvereins fort, wurde mehrfach neu aufgelegt und ist ebenso wie die Stadtführung immer wieder gefragt, u.a. auch von interessierten Vereinen. Auch das Buch mit den Sagen und Erzählungen gibt es natürlich heute noch, in Lennep z.B. auch im Lennepladen und im Tuchmuseum, außerdem bei mir persönlich und auch über das Internet. Über einen Neudruck wird z.Zt. verhandelt.
Pfarrer Johann Moritz Schwager hatte wie zahlreiche Mitglieder der Familie Moll als Schüler die Lenneper Lateinschule am Kirchplatz besucht. Das spätere Foto stammt aus Paul Windgassens „Geschichte des Röntgen-Realgymnasiums …“ aus dem Jahre 1935. Der Vorfahre der Lenneper Familie Moll, Melchior Moll, führte bereits im Jahre 1634 ein Siegel mit den drei Möllen. Die eigentlich schwarzen Maulwürfe werden hier nur im Umriss präsentiert. Das Siegel weist auf Melchior Molls Funktion als Lenneper Schöffe hin. (Vergrößerung aus der oben stehenden Abb. rechts)
Natürlich gibt es auch noch andere Thematisierungen der Lenneper Familie Moll. In einer weiteren frühen Nachkriegsschrift des Bergischen Geschichtsvereins (jetzt Abteilung Remscheid) über „Bergische Wegbahner“ bzw. „Persönlichkeiten und Geschlechter aus Remscheid, Lennep und Lüttringhausen“ aus dem Jahre 1951 beschreibt der vormals u.a. für das Stadtarchiv tätige Heimatforscher Kapitän a.D. Paul Windgassen (1888-1965), der selbst aus einer alten Lüttringhauser und Lenneper Familie stammte, mehrere historische Lenneper Tuchfabrikanten wie Hardt, Schürmann und Schröder, darunter auch die Familie Moll. Dort heißt es u.a:
„Eine der ältesten, vornehmsten und reichsten Familien im alten Lennep war die Familie Moll, kurz „Mölle“ genannt. Der Name Moll ist nach Sprachforschungen ein in den Pyrenäen sehr häufig vorkommender Familienname. Die Mölle sind mit den Franken, die seit 801 in Katalonien eine spanische Grenzmark gründeten nach Südfrankreich und von dort das Rhonetal aufwärts an den Rhein gekommen … 1478 erwarb Dietrich Moll das Bürgerrecht in Lennep. Er führte als erster drei schwarze Maulwürfe (Mölle) in seinem Wappen. Die „Mölle“ haben der Stadt Lennep viele Rats- und Gerichtsschöffen, Bürgermeister, Stadtrichter, Kirchmeister, Scholarchen, Provisoren usw. gestellt. Selbst die Stelle eines Landeshauptmannes wurde von einem Mitglied der Familie ausgeübt, der „in großem Ansehen gewesen“ ist. Der älteste in der Stammreihe des Lenneper Zweiges ist Peter Moll, der urkundlich am 26. 2. 1612 erwähnt wird, und der ein „reicher, viel geltender Mann“ war. Seine Nachkommen, die im öffentlichen Leben Lenneps immer eine große Rolle gespielt haben, waren zum größten Teil weit berühmte Kauf- und Handelsherren. Nach dem dritten großen Stadtbrand von 1746 zogen mehrere Familienmitglieder nach Lüttringhausen, Hagen i. W., Osnabrück, Hamburg und London. Ihre Religion war lutherisch und mehrere Familienmitglieder wurden Pfarrer in Schwelm, Wickede, Monheim und Grumbach b/Trier. Da die Familie sehr reich war, wurden ihre Töchter natürlich sehr begehrt, und wir finden unter den Schwiegersöhnen die bekanntesten und angesehensten Familien des Bergischen Landes und der benachbarten Länder. Aus der Reihe der Tuchfabrikanten seien hier zwei hervor gehoben, die maßgebend am Wiederaufbau der Lenneper Tuchindustrie mitgearbeitet haben: Herr Peter Moll (1659—1727) den ich bereits oben erwähnte, der die spanische Wolle mit einführte, vermutlich durch seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu Spanien, und sein Sohn Peter Daniel Moll, weit berühmter Kauf- und Handelsherr, Tuchfabrikant in der Krebsöge, Bürgermeister Richter, Rats- und Gerichtsschöffe und Stadtfähnrich zu Lennep, geb. 30. 4. 1682 in Lennep und gestorben 13. 3.1753 i. d. Krebsöge … Er kaufte am 20. 3. 1724 mit seinem Schwager Peter Melchior Hardt und Engelbert Strohn von Christian Abshoff das Erbgut in der Krebsöge mit Walkmühle und Schlacht in der Wupper.“
Zum Schluss drei Abbildungen zum Thema „Originale“ bzw. „Schräge Typen im Alten Lennep“, 1) das heutige Buch „Aus dem Alten Lennep – Sagen und Erzählungen – Geschichten und Geschichtliches“, 2) ein historischer Lenneper Musik-Virtuose namens Heinrich Rodenbusch, der um 1900 am Stahlfeld 2 ansässig war sowie 3) eine Erinnerung an eine einschlägige Stadtführung zum Thema aus dem Jahre 2016:
Das Buch „Aus dem alten Lennep – Sagen und Erzählungen – Geschichte und Geschichtliches“ im Sutton Verlag beruht z.T. auf dem Heft des Bergischen Geschichtsvereins aus dem Jahr 1947. Es wurde jedoch durch zahlreiche andere Quellen der Lenneper Geschichte wesentlich erweitert. Die Stadtführung „Mit schrägen Typen durch das alte Lennep“ thematisiert nur einen Teil des Buches und ist seit vielen Jahren so beliebt, dass sie immer wieder angeboten wird. (Foto privat, Stadtführung Schräge Typen 2016).
Nachtrag: Natürlich gibt es zur Geschichte der Familie Moll in Lennep auch weitere heimatkundliche und wissenschaftliche Literatur. Einen kurzen, aber inhaltsreichen Überblick findet man u.a. hier: https://www.ltg-sport.de/page.php?page=pages&id=170