Liebe Freunde des Bergischen Landes, vor ein paar Tagen kam der WDR nach Lennep, um einen Dreh zur Erinnerung an den Fernsehkrimi „Das Halstuch“ zu machen, und um mit Leuten zu sprechen, die vor 50 Jahren bei den Lenneper Dreharbeiten dabei waren. Weiß man eigentlich noch davon und warum eigentlich Lennep, wo doch die Handlung in England spielt?
Die ehemalige Kreisstadt Lennep ist trotz ihrer verändernden Sanierungen in den letzten 40 Jahren noch schön und wird, man sollte aber nicht überall so genau hinschauen, oft als Rothenburg des Bergischen Landes bezeichnet. Warum sollte man hier also nicht einen Film drehen, und am besten gleich mit richtigen Schauspielern? Genau das geschah auch schon, wenn auch vor einem halben Jahrhundert. Im Juni des Jahres 1961 rückte nämlich der WDR an, und der Regisseur Hans Quest kam an verschiedenen Drehorten Lenneps zur Sache.
Allerdings wurde Lennep für die Dreharbeiten nicht wegen seiner Schönheit ausgesucht, sondern wegen seiner kleinstädtischen Enge und Beschaulichkeit. Die eigentlichen baulichen Schönheiten des alten Lennep waren gar nicht gefragt. Im Mittelpunkt des 6-teiligen Films, der heute als innovativer Fernsehklassiker gilt, stand Inspektor Yates (Heinz Drache). Er hat sich im Film mit einer Reihe von Morden zu befassen, die mit einem Halstuch verübt wurden. Eine schwierige Aufgabe, aus dem Kreis mehrerer hochgradig Verdächtiger den Mörder herauszufinden und zu überführen. Man verfilmte seinerzeit den im Jahre 1960 von dem englischen Autor Francis Durbridge verfassten Roman Das Halstuch (engl. the scarf) für den WDR, später wurde er in der ARD, den dritten Fernsehprogrammen, Eins Plus u.a. mehrfach wiederholt. Im Juni 1961 gedreht, wurde der Film in den einzelnen Folgen im Januar 1962 ausgestrahlt. Aus Kostengründen fanden die Außenaufnahmen für die Serie nicht in England statt. Deshalb wurde lange nach einem passenden Drehort in der Bundesrepublik gesucht, der kleinstädtisch wirken sollte. Schließlich wurde man in Remscheid-Lennep fündig, das nun als Kulisse für den fiktiven Handlungsort Little Shaw diente.
Der Film wurde Januar 1962 in sechs Teilen gesendet, die zwischen 35 und 40 Minuten lang waren. Die Folgen 1–5 endeten jeweils mit einer spannenden oder überraschenden Szene, einem sog. Cliffhanger, an die sich viele damalige Zuschauer heute noch erinnern. So entdeckt am Ende der ersten Folge ein Musikschüler in seinem Geigenkasten das Halstuch, mit dem das erste Opfer ermordet wurde. Im Zusammenhang mit der Ausstrahlung des Films entstand übrigens der heute geläufige Ausdruck Straßenfeger, und in der Tat löste die Ausstrahlung eine nie da gewesene Begeisterung in allen Bevölkerungsschichten aus. Das Bild völlig leer gefegter Straßen an Sendeterminen der Durbridgereihe war gänzlich neu. Die Ursache war zum einen die ungeheuere Popularität der Serie und zum anderen die Tatsache, dass es zu der damaligen Zeit für den privaten Gebrauch noch keine Geräte zur Aufzeichnung von Fernsehsendungen gab. Theater, Kinos, Volkshochschulen und andere öffentliche Einrichtungen blieben an den sechs Sendeabenden praktisch leer, auch Wahlkampfveranstaltungen der politischen Parteien fanden kein Interesse. Sogar die Nachtschichten in vielen Fabriken mussten ausfallen. Wer damals noch keinen Fernseher hatte, besuchte befreundete Familien oder sah die Filme vorm Fernsehgeschäft, wobei der Ton mit einem Lautsprecher nach außen übertragen wurde. Die bereits mit Fernsehgeräten ausgerüsteten Wirtschaften damals verzeichneten noch mehr Gäste als bei den übertragenen Fußballspielen. Die durchschnittliche Sehbeteiligung lag bei 89 %, was allerdings mit der nächsten Durbridgereihe Tim Frazer noch überboten wurde.
Interesse und Begeisterung, oder sagen wir einfach Neugier waren allerdings schon bei den Dreharbeiten zu spüren. Damaligen Zeitungsberichten zufolge ließ es sich halb Lennep nicht nehmen, zuzuschauen. Hausfrauen ließen die Betten ungemacht, die Ehemänner gingen nicht zur Arbeit, und die Schulkinder hatten frei. So auch ich, auch ich war damals im Jahr meiner Konfirmation mit dabei, zumindest an den innerstädtischen Drehorten, nämlich am unteren Alten Markt und am Munsterplatz. Die eigentlichen Drehareale umfassten im Grunde jeweils nur wenige Quadratmeter, unmittelbar davor die Kameras und die Beleuchtungstechnik, für die Zuschauer blieb wenig Platz, sie drängten und stapelten sich sozusagen auf Kisten und Stühlen am Alten Markt vor dem damaligen Lokal Reichshof, dem heutigen spanischen Restaurant, oder auf dem damals noch nicht entkernten oberen Munsterplatz, denn dort wurde nicht gedreht. Die von der Wetterauerstraße zum Munsterplatz führenden Gässchen waren mit Zuschauern völlig verstopft. Ich kann mich noch gut an Horst Tappert und Dieter Borsche erinnern, wenn sie in das große Haus Munsterplatz 11 gingen, das man mit ganz geringem Aufwand zu einer kleinstädtischen englischen Polizeistation umfunktioniert hatte. Immerhin hatte man noch einen englischen Briefkasten aufgestellt. Die Kamera verfolgte mehrfach Autos, die aus Richtung Marktkino auf den Munsterplatz fuhren oder sich von dort wieder entfernten. Der Blick fiel dann wirklich auf Alt-Lennep, die südliche Seite des unteren Munsterplatzes östlich der Steeggasse. Dass man dabei keine Einzelheiten erkannte, war gewollt. Eindrucksvoll ist bei den jeweiligen Zusammenfassungen für die nächste Folge auch Margot Trooger zu sehen, wie sie auf dem Weg zur Polizei vor dem erwähnten Haus steht und auf das Polizeischild schaut.
Die für die Lenneper spektakulärste Szene des sechsteiligen Films wurde am Alten Markt realisiert. Im RGA hieß es damals: Auf dem Alten Markt wurde scharf geschossen. Nachgetragen wird dann, dass man dabei natürlich in Wirklichkeit gar keinen Schuss gehört hat, und dass die Schusslöcher im PKW der Darstellerin schon vorher in der Scheibe waren. Wozu hat man schließlich ein Studio, wo man alles zusammenbringt. Die Szene ist im übrigen vergleichsweise kurz und dient vor allem der Aufheizung der Atmosphäre beim Zuschauer, aber es waren seinerzeit hier mehrere Lenneper Statisten dabei, die Aufnahmeleitung äußerte sich später sehr positiv darüber und die Bemerkung, Lennep sei eine ideale Filmstadt, bauchpinselte nicht nur die Mitwirkenden. Der Aufnahmeleiter meinte noch, dies sei sicher nicht das letzte Mal gewesen, dass man in Lennep drehte. Na ja.
Anders als am Munsterplatz, wo nur altertümliche Fassaden und ein leicht zu verwandelndes Fachwerkhaus als Kulisse benötigt wurde, richtete sich die Kamera am unteren Alten Markt auch längere Zeit auf die dortigen Geschäfte, die natürlich zu diesem Zwecke einer intensiveren Verwandlung zur Herstellung des richtigen Ambientes bedurften. Über Nacht verwandelte sich deshalb die Zeitschriftenhandlung Schreiber an der Ecke zur Jägergasse in eine englische Buchhandlung und das benachbarte ehemalige Reisebüro Schneiderhöhn wurde zu einem englischen Modesalon „umfrisiert“, der im Film eine Rolle spielt. Links davon erblickt man mehrfach ein Blumengeschäft, was einen damaligen Lenneper nicht verwundern konnte, war doch dort traditionell das Lenneper Blumenhaus von Wüstermann ansässig. Man sieht in mehreren Folgen, wie Autos von der Marktgasse auf die damals auch wirklich so eingezeichneten Parkplätze vor den genannten Geschäften einbiegen. Dabei gerät auch die damalige Filiale der traditionsreichen regionalen Lebensmittelkette Adolph Schürmann in den Blick. Deutlich sieht man im Nachhinein beim genauen Betrachten des Films das Firmenzeichen, das aus einer dampfenden Tasse bestand, oval umschlossen von einer Art Ehrenkranz, der u.U. auf das seinerzeit genau fünf Jahre zurückliegende fünfundsiebzigste Firmenjubiläum zurückzuführen war. Das Firmenzeichen erklärt sich aus dem Umstand, dass die Remscheider Firma Adolph Schürmann auch eine bedeutende Kaffeerösterei war. Man sieht hier, dass die bergische Wirtschaft Anfang der 1960 Jahre auch im Little Shaw, England vertreten war. Aber in Wirklichkeit erkannten wohl die ortsfremden Filmer die spezifische Bedeutung des Schildes nicht, oder sie meinten zu Recht, dass dies nicht unbedingt auffalle. Nun ja, in Remscheid schon.
Zurück zum Schuss, der gar nicht stattfand. Als Kamera und Mikrofon einsetzten, war er gerade laut Regie gefallen und Hauptdarstellerin Margot Trooger stand von herbei eilenden Passanten umringt einen Augenblick wie erstarrt, um dann, nur an der Hand geringfügig verletzt, in Ohnmacht zu fallen. Das machte Margot Troogers kleiner Tochter nichts aus, die bei den Aufnahmen dabei war, denn alles war ja nur gespielt und das Blut nicht echt. Die Szene gestaltete sich allerdings schwieriger als zunächst gedacht, weil mehrere Personen gleichzeitig in Bewegung sein mussten, und so musste Margot Trooger mehrere Male in Ohnmacht fallen, bis die Szene „im Kasten“ war. Das war aber nicht die einzige Unterbrechung beim Fortgang der Arbeiten. Mal störten Kinder- oder Zuschauerstimmen, mal läutete die nahe Stadtkirche zur Beerdigung, mal stand im Gesicht einer Darstellerin der Schatten des Mikrofons, das an einer langen Stange befestigt in unmittelbarer Nähe den Sprechton aufnehmen sollte. Auch ein Flugzeug über Lennep führte nach den damaligen Berichten zu Unterbrechungen.
Natürlich mussten die Filmleute in den Filmpausen, wo die aufgelegte Schminke restauriert wurde und noch mehr Zigaretten konsumiert wurden als im Film selber, was aus heutiger Sicht schon eine reife Leistung war, viele Autogramme geben, gefordert war hier jedermann, auch wenn es nur die ortsansässigen Zeitungsreporter waren, wer kann das schon unterscheiden, wenn es sich nicht um die Hauptdarsteller handelt. Außer Dieter Borsche und Albert Lieven wurden sie ja auch erst durch diesen Film weiter bekannt.
Nicht erwähnt wurde bisher der Drehort Diepmannsbach, wo der letzte Teil des Films spielt und teilweise auch gedreht wurde. Jedenfalls sah man in der damaligen Presse Fotos der Darsteller und des Filmtrosses vor dem Jagdschlösschen, es gibt bergische Kühe zu sehen, die auch in einem Farbfilm schwarz-weiß gewesen wären, ein idyllisches Holzbrückchen führt über den Bach, und der später hier gefasste Mörder malt mithilfe eines recht lebendigen Models seinen letzten Mord mit Zeichenstiften. Inspektor Heinz Drache kommt dann mit dem Wagen angebraust und fährt beim ersten Versuch regiewidrig den Weidezaun an, die eigentliche Schwierigkeit liegt aber in den Lichtverhältnissen dort, und es wird laufend mit Regen gerechnet, der aber Gott sei Dank ausbleibt, sonst wäre ein neuerlicher Drehtag notwendig gewesen. Die Beleuchtungsmaschinerie seinerzeit war übrigens weit schwergewichtiger als heute. Die voluminösen Großscheinwerfer brauchten auch viel Strom, der durch spezielle mitgebrachte Aggregate gespeist wurde. Ein solches war in der Diepmannsbach während der Arbeiten ausgefallen, und die Not war groß. Aber in Lennep weiß man natürlich immer Rat und kann jederzeit helfen. Die Bergischen Licht- und Kraftwerke stellten selbstverständlich sofort ein Ersatzaggregat zur Verfügung, das man „gerade da hatte“.
Ja, soweit die Dreharbeiten, aber wer war eigentlich der Mörder? Es war hier nicht so, dass die Verdächtigen nach und nach eliminiert wurden, alle konnten es bis zur letzten Folge gewesen sein. Am 15. Januar 1962, zwei Tage vor Ausstrahlung der letzten Halstuch-Folge, veröffentlichte der Berliner Kabarettist Wolfgang Neuss in einer Zeitungsannonce für seinen Kinofilm Genosse Münchhausen den Namen des Halstuchmörders, um auf diese Weise mehr Zuschauer in die Kinos zu locken. Das löste einen regelrechten Skandal aus. Neuss erhielt Morddrohungen, und die Bild-Zeitung bezeichnete ihn in einem Artikel als Vaterlandsverräter. Später gab Neuss an, den Mörder lediglich richtig erraten zu haben. Übrigens war es nicht der Gärtner.
Die Dreharbeiten und die Ausstrahlung der damaligen Krimiserie lösten in Lennep große Begeisterung aus. Zwei leider zu konstatierende Trittbrettfahrermorde zur Serie fanden Gott sei Dank woanders statt, jedoch machte sich nach der Ausstrahlung in Lennep ein Postinspektor mit einer Viertelmillion davon. Das ist nun fünfzig Jahre her und der WDR erinnert nicht nur uns Lenneper an die damalige Zeit. Wenn diese Erinnerung nun realisiert sein wird, so kam es mir in den Sinn, dann könnte man ja in Lennep zum Thema einmal ein Erzählcafé veranstalten, wo man seine Erinnerungen austauschen und vielleicht sogar Fotos mitbringen kann.