Seit geraumer Zeit, eigentlich seit vielen Jahren schon, werden in den bergischen Medien die Versuche beobachtet, Anlage und Gelände des historischen Lenneper Bahnhofs umzugestalten. Der zwischenzeitlich errichtete moderne Aufzug auf diesem Areal funktioniert gerade mal wieder, er wird aber des Öfteren durch Vandalismus außer Gefecht gesetzt. Auch das historische Bahnhofsgebäude selbst gehört in die Gesamtüberlegungen, und nachdem seit längerer Zeit ein privater Investor für die künftige Nutzung gesucht wurde, soll jetzt ein Therapiezentrum darin errichtet werden. Im Januar 2015 hieß es in der Presse, dass der Umbau des Bahnhofs zu einer Physio-Praxis angelaufen sei und dies hat sich jetzt im Herbst bestätigt.
Das Aussehen dieses Gebäudes ist ja seit Jahrzehnten sicherlich nicht positiv zu beurteilen, zweifelhaft und eher unbedeutsam waren auch verschiedene zwischenzeitliche Funktionen des schlecht erhaltenen Gesamtensembles, das allerdings eine respektable Geschichte hinter sich hat. Schließlich gehörten dieser Bahnhof und die ihn umgebende Anlagen einmal zu einem der wichtigsten Eisenbahnknotenpunkte im Bergischen Land sowie im Kreis Lennep, der bis 1929 bestand. Fast fünfzig Jahre zuvor, nämlich am 1. September 1868, war die Teilstrecke der Bergisch-Märkischen Eisenbahn von Barmen-Rittershausen über Ronsdorf, Lüttringhausen und Lennep nach Remscheid in Betrieb genommen worden, und der erste Bahnhofsbau war eilig und eher unspektakulär angelegt. Aber schon 1869 wurden in Lennep mehr als 290.000 Fahrgäste gezählt. Der Lenneper Albert Schmidt, der Baumeister der Industriellen in Lennep und an der Wupper, spielte bei alledem nicht nur eine große Rolle, sondern er ließ sich vom damaligen Bürgermeister Sauerbronn später auch überreden, im Jahre 1890 direkt gegenüber dem Bahnhof das Hotel „Kaiserhof“ auf eigene Kosten zu bauen, es herrschte damals das Wirtschaftswunder, das wir heute im nach hinein „Gründerzeit“ nennen. Manche von uns erinnern sich noch an dieses Hotelgebäude, vom dem, sozusagen ersatzweise, heute nur noch der Portikus steht, und in dem später die Sparkasse residierte. Der Schreiber dieser Zeilen ließ hier den 1950er Jahren am Weltspartag beim Sparkassenleiter Pick den Inhalt seines Sparschweins auf das Sparbuch buchen. Damals gab es noch 10% Zinsen. Zur Belohnung erhielt man dann Gaben, z.B. einen Schraubendrehersatz in Plastikumhüllung. Das Werbegeschenk machte allerdings der Werkzeugtradition der Remscheider Region nicht unbedingt viel Ehre.
Der „erste“ Lenneper Bahnhof wurde schon oft thematisiert. Weniger bekannt ist, dass über lange Jahre dort der „Restaurateur“ Oskar Gross (auch Groß oder Grohs) sein Etablissement betrieb. Er stammte aus einer Lenneper Familie, die über Jahrzehnte vorher die alte Poststation innehatte, dort, wo die heutige Lüttringhauser Straße von der Knusthöhe abzweigt. Weitere Personen der Familie Groß gingen im 19. Jh. für das Berliner Handelshaus Hardt & Co., also für die Lenneper Tuchindustrie, nach Südamerika. Aber nicht nur dort, sondern auch in den Wartesälen des Lenneper Bahnhofsgebäudes ging es seinerzeit „tropisch“ oder mindestens „subtropisch“ zu. Den Berichten Albert Schmidts zufolge legte nämlich der Restaurateur, der sein Bahnhofsrestaurant seit seiner Fertigstellung mit Geschick bewirtschaftete, besonderen Wert auf die Ausstattung mit zahlreichen seltenen Pflanzen und Gummibäumen. Den hinteren Teil des Wartesaals gestaltete er als Palmengarten. Zur Werbung wurde auch eine Postkarte produziert, die neben dem Bahnhofsensemble das für eine kurze Zeit gegenüber liegende Wohnhaus der Familie zeigte, weiterhin das zweite Restaurant der Familie Gross am Bismarckplatz gegenüber dem Kölner Hof. Noch so manches könnten wir über diesen ersten Lenneper Bahnhof und sein Areal berichten, z.B. über die damals sehr modernen Energiegewinnungsanlagen und den Güterbahnhof, die sich bis an das heutige Kaufzentrum in der Nähe des ehemaligen „Kreishauses“ oder der „Kammgarn“ hinzogen.
Bereits um 1900 war die Gesamtanlage des damaligen Lenneper Bahnhofs viel zu klein geworden, und man versuchte deshalb, das Gelände zu erweitern. Ausdruck dafür war im Jahre 1905 beispielsweise die Versetzung eines ganzen Hauses im Bereich Schlachthof- und Karlstraße. Ohne dass eine Scheibe zu Bruch ging, wurde das Haus auf Stelzen gehoben und 18 Meter verschoben. Von der Gleisseite des Bahnhofs aus sieht man es heute an der Karlstraße noch stehen. Am 08. Juni 1911 veröffentlichte das „Lenneper Kreisblatt“ einen Artikel „Zur Eröffnung des neuen Bahnhofsgebäudes in Lennep“. Hierbei ist auffällig, dass der nur teilweise miteinbezogene Vorgängerbau schon damals als seinerzeit bewusst intendiertes „Provisorium“ bezeichnet wird. In Tat gleicht er ja auf den wenigen erhaltenen Darstellungen manchmal einer überdimensionierten Bretterbude, da er ganz in Holz gearbeitet war. Darüber kann man nun denken wie man will, jedenfalls genügte er später nicht mehr den Repräsentationsansprüchen der Wilhelminischen Epoche um 1910. In der Tat auch entsprach er nicht der zwischenzeitlichen Entwicklung der damaligen Kaiserstraße, der heutigen Bahnhofstraße. Blickte man um die Jahrhundertwende von der Kölner Straße in Richtung Bahnhof, so sah man im mittleren Abschnitt nicht nur das im Jahre 1889 errichtete Rathaus bzw. Amtsgericht, sondern links an der „Düsteren Gasse“ auch das repräsentative Stammhaus der Fabrik für Öfen & Herde Hugo Heuck und die Bergische Licht- und Kraftwerke A.-G. (später RWE), weiter oben links dann auch das bereits erwähnte Hotel Kaiserhof, in dessen Räumen ab 1920 dann der Barmer Bank-Verein und später die Lenneper Sparkasse residierte. Die Sparbücher meiner Kinderzeit verwahre ich heute noch.
Die Kaiser- bzw. Bahnhofstraße, zunächst als Teillösung einer modernen Stadterweiterung zum zügigen Transport der über den Bahnhof gelieferten Materialien gedacht, war zur Zeit der Entstehung des „neuen“ Bahnhofs schon zu einer Prachtstraße geworden, die nicht umsonst namentlich dem Kaiser gewidmet war, sozusagen ein Ensemble mit Identitätspräsentationsfunktion, wie der Mollplatz mit seinem Kaiserdenkmal ein Ausdruck Preußischer Herrlichkeit im Bergischen Land. Allein zwischen 1886 und 1990 erstellte der Lenneper Baumeister Albert Schmidt in dieser Straße mehr als zehn öffentliche und private Prachtbauten.
Zum nunmehr „neuen“ Lenneper Bahnhof schrieb das Kreisblatt im Jahre 1911 daher nicht ohne Grund „Nun erhebt sich anstelle des alten ein stattliches Empfangsgebäude, wie es der Bedeutung Lenneps als Verkehrsknotenpunkt entspricht. Schon in der Kaiserstraße fesselt das Auge der in schönen architektonischen Formen gehaltene und lebendig gegliederte Neubau“. Dem Artikel am Vorabend der offiziellen Bahnhofseinweihung wurden damals eine „Ansicht nach der Straße“ und ein „Grundriss im Maßstab 1/100“ beigegeben. Insgesamt wurden der vornehme und gediegene Eindruck sowie die Verwendung hochwertiger Materialien betont. Neben den bahnfunktionalen Einheiten wie Schalterhalle und Gepäckaufgabe enthielt das neue Gebäude u.a. auch zwei unterschiedliche Wartesäle, einen für die 1. und 2. Klasse sowie einen für die 3. und 4. Klasse. Der bessere Wartesaal wartete nicht nur mit einem vornehmeren „Büffett“ auf, sondern führte auch zu einem kleinem „Nichtraucherzimmer“. Heute wäre es vielleicht umgekehrt, und die Raucher bekämen ein geschlossenes „Clubzimmer“ oder sie müssten draußen auf dem überdachten „Perron“ ihrem Laster frönen. Das Gebäude enthielt zudem Dienstwohnungen, u.a. auch eine für die Familie des Bahnhofsrestaurateurs samt Wirtschaftsräumen. „Dass die Küche mit allen modernen Einrichtungen ausgestattet ist, versteht sich von selbst“. Von dem zur Straße liegenden Wartesaal des langjährigen Pächters Hans Kraemer, seine Witwe führte das Geschäft später fort, ist sogar eine Postkarte erhalten. Sie zeigt den zum Bahnhofsvorplatz gelegenen Saal mit den großen bleiverglasten Außenfenstern und dem Büffet im Hintergrund, der Palmengarten des Vorgängers Gross wurde allerdings hier auf eine Einzelpalme reduziert. Die rückseitige Inschrift der Postkarte lautet: Bahnhofs-Wirtschaft-Lennep, das gepflegte Haus, Inh.: Hans Kraemer Wwe. Ein Exemplar dieser Karte liegt noch aus dem Jahre 1941 in meinem Lenneparchiv vor, abgestempelt durch die damalige Feldpost.
Entwurf, Planung und interne Bauaufsicht des seinerzeit „neuen“ Lenneper Bahnhofsgebäudes wurden übrigens durch die Eisenbahnbauabteilungen in Elberfeld und Lennep selbst bewerkstelligt, die Bauausführung dagegen wurde weit überwiegend Lenneper Handwerksmeistern übergeben. Dabei tauchen Namen auf, die auch uns Heutigen u.U. noch etwas sagen können, wie die Firma Wender & Dürholt (Schreinerarbeiten), Kuby (Möbelherstellung) oder auch Lohmann (Dachdeckerei). Der Artikel aus dem Jahre 1911 schließt mit dem Hinweis, dass einige Arbeiten noch erst geleistet werden müssen, z.B. die von der Stadt Lennep versprochene Pflasterung vor dem neuen Bahnhofseingang mit dem durch Kupferblech bedeckten halbrunden Vorbau. Die ersten Postkarten des neuen Lenneper Bahnhofsgebäudes zeigen denn auch den Zustand, in dem diese Versprechen noch nicht abgearbeitet sind, so sieht man z.B. im Eingangsbereich noch Pflastersteinhaufen, und die Anstreicher gehen im ersten Stockwerk ihrem Handwerk nach.
Fotografien vom „neuen“ Lenneper Bahnhof gibt es, über die Jahrzehnte verstreut, viele. Die oft nur sehr äußerliche Veränderung richtet sich dabei nach dem Geschmack der jeweiligen Zeit, manchmal gelingt eine Datierung auch nur über die mit abgebildeten, inzwischen „historischen“ Fahrzeugtypen, die vor den Gebäude abgestellt sind. Eine einschneidende Veränderung erfuhr das Bauwerk 1945 durch das alliierte Bombardement, wodurch es insgesamt schwer beschädigt wurde. Ein nach Norden liegender Flügel wurde später nicht wieder aufgebaut. Auch hier könnte natürlich noch so manche Geschichte erzählt werden, etwa vom Kohlenklau in den 1940er Jahren, wo die heute fast 80jährigen „Pimpfe“, oft auch unterstützt durch ihre damals kriegsbedingt auf sich gestellten Mütter, in der Dämmerung verbotenerweise die Kohlewaggons plünderten und die herab fallenden Stücke hastig in die mitgebrachten Säcke stopften. Nach dem Motto „Not kennt kein Gebot“ drückten damals die selbst bedürftigen (Hilfs-)Beamten der Eisenbahn und Polizei so manches Auge zu. Noch heute erinnern sich viele Lenneper an diese seinerzeit „fringsten“ genannte Beschaffungsmethode.
Soweit diese Hinweise auf die Geschichte des Bahnhofs von Lennep, der auf den ersten Postkarten nach seinem Neubau von 1911 auch schon mal als Lenneper Hauptbahnhof bezeichnet wurde. Natürlich ist auch dieser Ort mit zahlreichen bemerkenswerten Ereignissen und Histörchen verbunden, als etwa im Jahre 1920 ein Zug die Absperrungen durchbrach und mit kreischenden Bremsen bis auf den Bahnhofsvorplatz gelangte oder am 12. Mai 1923 sechs rechtsnationale Untergrundkämpfer von der Hinterseite her auf die im in den Wartesälen untergebrachte Hauptwache der Franzosen schoss. Es wäre in der Tat schön, wenn die Vergangenheit des Lenneper Bahnhofs bei den anstehenden baulichen und Nutzungsveränderungen nicht nur im archivischen Hinterkopf verschwände und allein für Historiker zugänglich bliebe. Es gibt es ja bei der nunmehr ins Auge gefassten Verwendung auch Möglichkeiten, sich seiner durchaus honorigen Vergangenheit zu erinnern.